Arminius the Liberator

 

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FAQs

 

Arminius der Cherusker

 

Name und Herkunft

Jugend

Der römische Offizier

Der Hilfstruppenkommandeur

Wesen und Charakter

Der Frontwechsel

Der Plan zur Befreiung

Die Verschwörung

Der Schlachtplan

Der Vorabend

 

Name und Herkunft

 

ARMINIUS ist in deutschen Landen besser bekannt unter dem Namen “Hermann”. Frühgermanisch hätte er dann “Charimannus” geheißen. Beide Namen haben jedoch nichts miteinander zu tun. Der Name ARMINIUS ist lateinisch, und es ist viel über ihn gerätselt worden. Vielleicht hieß unser Held ursprünglich “Erman” oder “Armin”.

 

Eine etymologische Deutung könnte von dem germanischen erman, ermin, armin = “groß, erhaben” ausgehen, (zum Beispiel bei ERMANERICH, dem Gotenkönig, und ERMANFRIED, dem Thüringerkönig).

 

Auch für “Irmin” bei “Irmin-Sul” oder bei dem weiblichen Vornamen “Irmingard” wird die gleiche Bedeutung zutreffen. Noch bei den Sachsen des 10. Jahrhunderts bedeutet “Irmin” stets etwas Hervorragendes, Bedeutendes.

 

Wenn der Cherusker ursprünglich den germanischen Namen “Erman” oder “Armin “ getragen haben sollte, könnten die Römer, als sie ihm die Ritterwürde zuerkannten, durch die lateinische Endung “ius” und eine Umwandlung von “E” zu “A” (wie beispielsweise bei dem latinisierten Namen des Gotenkönigs ERMANARICUS zu ARMINARICUS) seinen Namen als “Arminius” ihrer Sprache angeglichen haben. Ebenso vorstellbar ist, daß seine Aufnahme in jenes römische Rittergeschlecht, das sich “Gens Arminia” genannt hat, möglicherweise mit dem Ursprung seines Namens zu tun hat. Das ist aber nicht sehr wahrscheinlich.

 

Naheliegender ist, daß er einen Namen trug, der seiner Sippe entsprach und der ihn schon rein äußerlich als dieser zugehörig auswies: Sein Vater hieß SIGIMER, sein Schwiegervater SEGESTES, dessen Sohn SIGIMUND, sein Bruder SEGIMER, sein Neffe SEGITHANK. Die auffallende Vorsilbe “Sig” bzw. “Seg” könnte demnach der gemeinsame Name des ganzen Geschlechts gewesen sein, nämlich der Sippe des “Sigs”. Es ist denkbar, daß SIGIMERs ältester Sohn und dessen Bruder, (den die Römer FLAVUS, den “Blonden” nannten) gleichfalls den Bestandteil “Sig” im Namen getragen haben. Dann haben sie vor ihrem Eintritt ins römische Heer vielleicht “Sigmund”, “Sigmar”. “Sigfried “ oder “Sigurd” geheißen.

 

ARMINIUS war Cherusker. Das Land, dem seine Väter als Gaugrafen vorstanden, erstreckte sich ungefähr zwischen Ems und Weser, Diemel, Aller, Leine und Oker bis an den Harz. Das Kernland waren etwa der Raum Minden/Ravensberg, der Teutoburger Wald, das Land Lippe mit dem Weserbergland und die Paderborner Hochfläche.

 

Durch diese Region zog sich eine uralte Straße, der sogenannte “Hellweg”. Er führte vom Rhein her über das heutige Osnabrück, über die Weserfurt bei Minden und lief dann am Wesergebirge und den Bückebergen entlang, über Stadthagen, Elze und Hildesheim bis hin zur Elbe bei Magdeburg.

 

Dieser “Hellweg” war eine der bedeutendsten West-Ost-Verbindungen in Nordgermanien, schon in urgeschichtlicher Zeit, in der Römerzeit, im Mittelalter und als Heerstraße sogar bis ins 18. Jahrhundert hinein. Noch heute zeugen von seiner Wichtigkeit die zahlreichen befestigten Stützpunkte und Fluchtburgen, die ihn säumen.

 

Die Cherusker, im wesentlichen Nordwestgermanen - vorwiegend im heutigen Niedersachsen und Lippe ansässig – haben ihren Namen wohl vom altgermanischen Wort “Hiruz” oder “Hirusk” = “Hirsch”. Demnach wäre es das “Land der Hirschmänner” bzw. das “Hirschland”. Da sich die Römer fast immer der vorhandenen, einheimischen Eigennamen bei Volksstämmen, Flüssen, Gebirgen usw. bedienten und diese nur etwas latinisierten, so werden sie durch ihre Frage “Wie ist euer Name?” aus “Hirusk” oder “Herusk” – wenn das H wie ein CH oder wie K ausgesprochen wurde – wie zum Beispiel beim altgermanischen Wort “Sashnot”= Schwertgenoß – auf die Bezeichnung Cheruski gekommen sein.

 

Jugend

 

Seit dem Jahre – 16 versuchten sich die Römer in den Besitz Germaniens zu setzen. Im Zuge dieses Vorhabens hatten die kaiserlichen Prinzen DRUSUS und TIBERIUS weite Vorstöße ins Landesinnere gemacht. Sie kämpften gegen mehrere Germanenstämme, unter anderem auch im Jahre – 11, erstmals gegen die Cherusker.

 

Als im Jahre –2 ein “großer Krieg” ausbrach – wahrscheinlich ein Aufstand im rechtsrheinischen Germanien, nähere Umstände sind nicht bekannt -, sollten die Cherusker zwangsweise “umgesiedelt” werden. Diese Aktion scheiterte, wahrscheinlich am Widerstand dieses Germanenstammes. Schon CAESAR hatt die Praxis der “Umsiedlung” mit Erfolg auf unbotmäßige Völkerschaften angewandt; kurzerhand wurden Zehntausende aus ihrer Heimat vertrieben und in weit entfernten römischen Hoheitsgebieten angesiedelt.

 

Vielleicht hat der damalige Oberbefehlshaber in Germanien, AHENOBARBUS, bzw. dessen Nachfolger M. VINICIUS von dem Cheruskerherzog SIGIMER die Gestellung von Geiseln verlangt, um sich so den Schwächeren gefügig zu machen – dies war meist der erste Schritt zu einer formellen Unterwerfung. So war es üblich, sich einiger möglichst hochgestellter oder hochgeborener Personen zu versichern, um ein wirkungsvolles Druckmittel in der Hand zu haben. Sie wurden ihrem Rang gemäß gesellschaftlich plaziert und gerieten nicht selten völlig unter den Einfluß Roms. Es lag ganz im Sinne römischer Außenpolitik, solche Personen später als prorömische, linientreue Schachfiguren einzusetzen.

 

Schon damals könnten der blutjunge, etwa 15-Jahre alte ARMINIUS (1) und sein Bruder – den die Römer später FLAVUS (“Blondkopf”) nannten – als lebendige Faustpfänder nach Italien gebracht worden sein, um dort aufzuwachsen und römisch erzogen zu werden. Der Cheruskerfürst SIGIMER gab schließlich dem Druck der römischen Übermacht nach und unterwarf sich im Jahre 4 dem TIBERIUS. SIGIMER erhielt mit dem Unterwerfungsvertrag als Belohnung für sein Wohlverhalten das römische Bürgerrecht, und mit ihm zugleich auch seine Familie.

 

(1) ARMINIUS wurde zwischen den Jahren – 18 und – 16 geboren.

 

Von da ab hatten die Cherusker ein Hilfstruppenkontigent zu stellen. Es war die gleiche Politik, die NAPOLEON I. bei den von ihm favorisierten Rheinbundfürsten anwandte. Mit einem Fürsten- oder Königstitel war die Gestellung von landeseigenen Truppenkontigenten und Materiallieferungen aller Art verbunden.

 

Die Sippe des Gaufürsten SIGIMER war eine der einflußreichsten im Land. SIGIMERs Bruder INGOMER, ARMINs Oheim sowie ein entfernt verwandter Gaugraf, SEGESTES, der seinen Sohn SEGIMUND als Priester nach Köln schickte, erhielten den Titel “Amicus Populi Romanorum” (“Freund des römischen Volkes”). Solch wohlklingende Bezeichnungen kosteten die Römer nichts, banden aber deren Träger um so fester an sie.

 

Nach altbewährter Kolonialdiplomatie und der Devise “Divide et impera!” (“Teile und herrsche!”) suchte Rom zunächst, die gebildetere germanische Führungsschicht und jene Sympatisanten zu gewinnen und womöglich gesellschaftlich zu integrieren, auf welche römische Kultur und Zivilisation starken Einfluß machten. Die einheimischen Führer sollten mithelfen, den Umerziehungsprozeß zu unterstützen, indem sie ihren Völkern römische Denkungsart allmählich näherbrachten. Die Stammesfürsten und deren Söhne setzte man mehr oder weniger unter Druck und köderte sie mit Karriereangeboten in das römische Heer als Führer von Truppenteilen einzutreten, die praktisch eine Art Fremdenlegion darstellten. Dabei sparte Rom weder mit der Verleihung römischer Ehrentitel und Privilegien noch mit Geschenken: prächtige Waffen für die Männer –teurer Schmuck oder erlesener Hausrat für die Frauen. Die Römer erwarteten von den in ihren Diensten stehenden Edlen, daß sie ihnen wichtige Informationen über Land und Leute vermittelten. Ganz besonders interessant waren möglichst genaue Hinweise auf geographische Besonderheiten der weiter im Osten liegenden Gebiete.

 

Darüber, ob die beiden Brüder bereits ihre Jugend in Italien verbracht haben, kann man nur Vermutungen anstellen. Wären sie erst nach Abschluß des Bündnisses im Jahre 4 in römische Dienste eingetreten, so ergäbe sich, daß der damals etwa 21-jährige ARMINIUS sofort Führer einer Hilfstruppeneinheit geworden wäre und lediglich drei Jahre Frontdienst unter TIBERIUS bis zu seiner Rückkehr vom Balkan in die Heimat im Jahre 7 abgeleistet hätte.

 

Ob jedoch eine so kurze Zeit ausreichend gewesen sein kann, um einen so hohen und gerade für einen Germanen außergewöhnlich seltenen Rang der römischen Ritterwürde zu erlangen, muß bezweifelt werden. Das gleiche gilt für sein eingehendes Studium römischen Kriegswesens. Man darf daher wohl eher davon ausgehen, daß beide Brüder schon im Knabenalter in Italien waren und – wie in diesen Kreisen üblich – die Offizierslaufbahn im Heer ergriffen.

 

Der römische Offizier

 

Wie es auch gewesen sein mag – ob die Söhne SIGIMERS schon früh oder erst später in römische Dienste traten -, kann letzthin offen bleiben. Als sicher darf man annehmen, daß beide als Fürstensöhne mit römischem Bürgerrecht Kommandeure germanischer Kavallerie-Schwadronen gewesen sind, die bei den römischen Befehlshabern stets besonderes Ansehen genossen.

 

Als ARMINIUS noch vor Beendigung der Kampfhandlungen aus dem Balkan ins Cheruskerland zurückkehrte, blieb FLAVUS – vermutlich der jüngere der beiden – beim Heer, das er auch später nicht verließ.

 

Gaius VELLEIUS PATERCULUS, ein Reiterführer und über neun Jahre als Kriegsberichter des TIBERIUS tätig, berichtet uns, daß “Arminius an unseren früheren Feldzügen als ständiger Begleiter teilgenommen hat”.

 

Demnach wäre dieser und sicherlich auch FLAVUS in Feldzügen gegen mehrere West- und Ostgermanenstämme, ferner an der Donau und seit Beginn des pannonisch-illyirischen Krieges (im Jahre 6) in Ungarn und am Balkan eingesetzt gewesen. Und wenn ARMINIUS zum Stab des TIBERIUS gehörte, werden sich die beiden Reiteroffiziere als Kriegskameraden mit Bestimmtheit gekannt haben. Jedenfalls zeichnet der Römer ein derart lebensnahes Bild seines Äußeren und seines Charakters, wie es nur jemand kann, der ARMINIUS gesehen und näher erlebt hat. VELLEIUS nennt alles, was er als Römer und Offizier an diesem Fürstensohn besonders bemerkenswert und “für einen Barbaren” auffällig fand. Da ist von dessen außergewöhnlicher Tapferkeit, von einer schnellen Auffassungsgabe und von ebensolcher Entschlußkraft die Rede. Auch seine starke persönliche Ausstrahlung wird sichtbar, wenn VELLEIUS schreibt, daß sein Gesicht und vor allem seine Augen “das Feuer seines Geistes verrieten”. Wie wird er sonst ausgesehen haben? Er wird wohl jenem nordischen Männerbild nicht unähnlich gewesen sein, wie es die römischen Bildhauer so oft vollplastisch oder reliefartig auf ihren Columnen als fast allgemeinen Typus porträthaft dargestellt haben – mit edlen, männlichen Gesichtszügen, athletisch-schlank und hochgewachsen. Vermutlich wird er wie sein Bruder FLAVUS (“der Blonde”) blond oder rothaarig gewesen sein und diesen für den Südländer TACITUS so auffallenden “trotzigen Blick aus blauen Augen” gehabt haben.

 

Als hochbegabter Soldat und Truppenführer erlernte ARMINIUS während seiner Dienstzeit unter dem Feldherrn TIBERIUS die hohe Kunst römischer Strategie und Taktik. Er muß einen ungewöhnlich klaren Verstand für taktisch-strategische Zusammenhänge und eine besondere Fähigkeit zu logischem Denken besessen und in kurzer Zeit alles Wissenswerte über die römische Kriegskunst in sich aufgenommen haben. Während seiner Offizierslaufbahn wurde ARMINIUS die hohe und seltene Ehrung zuteil, in den römischen Ritterstand erhoben zu werden; diese Würde erwarb er sich durch besondere Tapferkeit und ruhmreiche Erfolge im Fronteinsatz. Damit erreichte er auf der militärischen Stufenleiter jene Stellung, die auf dem zivilen Sektor etwa der eines Senators entsprach, für den der Ritterstand obligatorisch war. Als äußeres Standeszeichen wurde ein goldener Ring verliehen.

 

Im Jahre 7 kehrte ARMINIUS als etwa 24jähriger in seine Heimat zurück. Im selben Jahr übernahm Quinctilius VARUS den Oberbefehl über Germanien. Der Krieg in Pannonien – im Jahre 6 begonnen – war noch nicht beendet; noch fast weitere drei Jahre blieb TIBERIUS dort gebunden.

 

Warum wohl kam ARMINIUS zurück? Mehrere Gründe könnten zutreffen. Da in den späteren römischen Berichten nie mehr von seinem Vater SIGIMER die Rede ist, könnte dieser inzwischen verstorben sein. Bei den antirömischen Strömungen im Cheruskerland ist es auch denkbar, daß sein Vater von einem Römerfeind, der in dem mit Rom verbündeten Gaufürsten einen Verräter sah, ermordet wurde. Jedenfalls hätte ARMINIUS als ältester Sohn seine Nachfolge antreten müssen. Das wäre ein plausibler Grund gewesen und hätte durchaus im Sinne römischer Politik gelegen: ein hochdekorierter römischer Offizier, dazu Kommandeur einer germanischen Hilfstruppe, ein zuverlässiger Freund Roms als Führer des bisher noch nicht romanisierten Cheruskerstammes – eine ideale Lösung!

 

Ebenso gut könnte TIBERIUS den ihm wohlbekannten ARMINIUS als besonders geeigneten Verbindungsoffizier zum Stabe seines Freundes Quinctilius VARUS abkommandiert haben, um dem Verwaltungs- und Schreibtischgeneral, für den Germania absolutes Neuland war und dessen Stärken nicht gerade in der Truppenführung lagen, einen kriegserfahrenen Frontoffizier zur Seite zu stellen. ARMINIUS sprach fließend Latein und war mit den Landesverhältnissen bestens vertraut. Möglicherweise ließ auch eine in Pannonien zugezogene Verwundung die Heimkehr, verbunden mit dem VARUS-Kommando, als geboten erscheinen.

 

Dem TIBERIUS war Armins Vater gut bekannt, hatten doch beide im Jahre 4 den römisch-cheruskischen Bündnisvertrag miteinander ausgehandelt und geschlossen. Dieses persönliche Verhältnis könnte durchaus dazu beigetragen haben, daß ARMINIUS für einen politisch wie militärisch gleich wichtigen Posten in unmittelbarer Nähe des höchsten Hoheitsträgers des Imperiums in Germanien ausersehen wurde.

 

ARMINIUS war verheiratet. Seit wann, ist unbekannt. Er könnte ab dem Jahr 7, als er wieder in der Heimat war, THUSNELDA, die Tochter des Gaugrafen SEGESTES, kennen und lieben gelernt haben. Gegen den Willen ihres Vaters, der sie mit einem ihm genehmeren Schwiegersohn verheiraten wollte, hatte er sie mit ihrem Einverständnis entführt und zu seiner Frau gemacht. Brautraub war ein durchaus üblicher Brauch, der nichts Ehrenrühriges an sich hatte. THUSNELDA mochte damals etwa 16 oder 17 Jahre, ARMINIUS etwa 24 Jahre alt gewesen sein.

 

Der Hilfstruppenkommandeur

 

Als sicher gilt, daß ARMINIUS auch unter VARUS eine Auxiliar-Einheit führte. Seine gesellschaftliche Stellung prädestinierte ihn für eine berittene Truppe, vielleicht eine sogenannte Ala mit etwa 500 Reitern. Er könnte auch einer Cohors Equitata als Präfekt vorgestanden haben, einem gemischten Verband, der zu drei Vierteln aus Fußtruppen und zu einem Viertel aus Berittenen bestand und 500 bis 800 Mann zählte. Viel mehr wird das römische Oberkommando einem Germanenführer – auch wenn dieser einen hohen römischen Titel trug – wohl nicht anvertraut haben.

 

Die germanische Auxiliar-Kavallerie besaß bei den Römern einen guten Ruf, hatte sie doch unter CAESAR im Jahre – 52 schlachtentscheidenden Anteil an dessen Sieg über den Gallierfürsten VERCINGETORIX gehabt, wonach ganz Gallien römische Provinz geworden war. Die römische Heeresleitung überließ deshalb solche Einheiten meist ganz deren einheimischen Anführern. Spezifisch völkische Eigenheiten innerhalb germanischer Auxilien, wie zum Beispiel Führungsstil, Gefolgschaftsverhältnis, Rangordnung und religiöse Bindungen hat die Armeeleitung meist toleriert und belassen; einzig wichtig war für sie der Erfolg im militärischen Einsatz. Auxilien sollten römisches Blut sparen.

 

Unter dem stolzen Gefühl, einer ruhmreichen Elitetruppe anzugehören, wird sich in einer solchen Gemeinschaft von”geborenen” Kriegern, die dem römischen Befehlshaber unmittelbar unterstand, aber von den eigenen Stammeshäuptlingen angeführt wurde, ein starker Korpsgeist gebildet haben – vergleichbar den berühmten képis blancs der französischen Fremdenlegion.

 

Hilfstruppen, die unter römischen Feldzeichen dienten, waren durch Bündnisse oder Verträge ihrer jeweiligen Fürsten zum Dienst für Rom verpflichtet. Daß dabei häufig Germanen gegen Germanen eingesetzt wurden, konnte Rom nur erwünscht sein. Die daran beteiligten Söldner – sie waren Söldner im wahren Sinne des Wortes – hat dies aber offenbar selten gehemmt, Krieger der gleichen Herkunft, Sprache und Religion zu bekämpfen, wenn es ihnen von ihren Oberen befohlen wurde. Mit der allen Landsknechten der Welt eigenen Sinneshaltung “Befehl ist Befehl…!” haben sich gerade Germanenstämme – und später ihre Nachfahren, die Deutschen – mit einer geradezu unglaublichen Sturheit gegenseitig umgebracht.*

 

*Beispiele für “Bruderkriege” gibt es sogar noch in der neueren Kriegsgeschichte: im Siebenjährigen Krieg, in den Kriegen NAPOLEONS I, und in den sogenannten Einigungskriegen 1864 und 1866.

 

Ursprünglich sollten jene Truppeneinheiten, die aus Angehörigen fremder Völkerschaften gebildet wurden, nur innerhalb der eigenen Region als eine Art Heimat-Miliz an der Grenze eingesetzt werden. Zu deren Aufgaben gehörte es, vornehmlich in der Landessicherung und im Rahmen der römischen Militärverwaltung bestimmte Plätze (wie Flußübergänge) oder Transporte von Versorgungsgütern zu schützen. Ferner oblag ihnen die Bewachung der Straßenkastelle, der Poststationen, der Getreide-Depots, der Verkehrswege sowie deren Instandhaltung und anderes mehr. Dabei bewachten sie praktisch ihre eigenen angestammten Grenzen – jedoch ausschließlich im Interesse Roms.

 

Allmählich wurden diese Verbände zunehmend auch außerhalb ihres Heimatgebietes zum Kampf in ferne Länder des weiten Imperiums kommandiert, um die Italiker-Legionen zu entlasten und deren blutige Verluste zu ersetzen. Auf dem Höhepunkt seiner Macht besaß das Imperium genausoviele Hilfskontingente wie reguläre Legionen.

 

Die Masse der Hilfstruppen bildeten Infanterieverbände, die aus den unterworfenen Stämmen ausgehoben wurden. Wie es um die “Moral” dieser “gezogenen” Männer bestellt war, läßt sich nur vermuten. Sie wird ähnlich wie die jener im 18. Jahrhundert zur Muskete gepreßten “unsicheren Kantonisten” gewesen sein, was nicht ausschließt, daß sich die einen in ihr Los schickten und andere sogar Gefallen am kriegerischen Leben fanden, was bei den Germanen, wo das Waffenhandwerk einen bedeutenden Stellenwert einnahm, gut denkbar ist.

 

Germanische Hilfstruppen galten bei den römischen Befehlshabern als besonders zuverlässig. Der von ihnen geleistete Treueid für sie wohl eine weit stärkere Verpflichtung als die orientalischen oder balkanischen Auxiliär-Einheiten. Die gleiche Hochschätzung genossen auch die Leibwachen germanischer Herkunft bei römischen und später bei byzantinischen Herrschern.

 

Die Hilfstruppen waren wie die Legionen in Kohorten von 500 bis 1000 Mann aufgeteilt, jedoch war ihre Bewaffnung und Ausrüstung weniger schwer. Germanische Auxilien kämpften oft – wie sie es gewohnt waren – nur mit Hose und Sandalen bekleidet, mit nacktem Oberkörper, bewaffnet mit Schwert, Keule oder Streitaxt. Es gab Hilfsvölker, die als reine Kavallerie-, Bogenschützen- oder Schleuderer-Einheiten dienten. Fast immer bildeten sie die ersten Angriffswellen zu Beginn einer Schlacht oder wurden als Plänkler vor der geschlossenen Schlachtformation der Legionen eingesetzt, um deren Blut für den Hauptkampf zu schonen. Noch Jahrhunderte später ist der Brauch, Kolonialvölker für sich bluten zu lassen, gern von Großmächten geübt worden. Da liegt es nahe, daß sich diese Truppe generell als Soldaten minderer Klasse, quasi als “verlorener Haufen”, fühlte, der die meisten Opfer zu bringen hatte; außerdem war sie auch soldmäßig benachteiligt. Beides dürfte Disziplin und Moral negativ beeinflußt haben, so daß die Bereitschaft zu Meutereien – zum Beispiel bei ausgebliebenem Sold oder anderen Krisenlagen – oft gegeben war. Sogar im regulären Heer sind Meutereien immer wieder vorgekommen. Ebenso werden Überläufer und Deserteure hauptsächlich aus den Reihen der Hilfstruppen gekommen sein.

 

Das Verhältnis zwischen den regulären Legionen und den Hilfssoldaten wird naturgemäß gespannt gewesen sein. Erst viel später, als die römischen Armeen an Rhein und Donau fast nur noch aus Germanen bestanden, auch diese Gegensätze.

 

ARMINs Hilfstruppe, die er unter VARUS befehligte, hat vielleicht schon bei seiner Ankunft als einfache Heimatmiliz bestanden, die er nun übernahm und ganz nach seinen Vorstellungen und Erfahrungen erzog und ausbildete, einschließlich eines Unterführer-Stammpersonals. Durch seine Autorität, durch seine Herkunft, durch sein Können und nicht zuletzt durch seine Ausstrahlung als Führerpersönlichkeit muß es ihm in kurzer Zeit gelungen sein, vorwiegend aus Bauernkriegern eine auf ihn persönlich eingeschworene Kerntruppe von beachtlicher Stärke und Moral heranzubilden. Daß dies alles unter den Augen der römischen Militärverwaltung stattfinden konnte, kam seinem Vorhaben ungemein entgegen.

 

Wesen und Charakter

 

Obwohl die Überlieferung zu ARMINIUS nur Teile seines Wesens offenlegt, ist es durchaus möglich, sein Wesens- und Charakterbild anhand des vorliegenden Schriftgutes nachzuzeichnen. Wir müssen uns nur bemühen, sein inneres Erleben, sein Sinnen und Trachten anhand seiner Taten – die nachweisbar belegt sind – nachzuvollziehen. An ihnen läßt sich die Art und Größe dieser ungewöhnlichen Persönlichkeit ermessen, und mit wenig Phantasie und Hilfe logischer Schlußfolgerungen lassen sich viele seiner Gefühle nachempfinden und die ihn leitenden Hauptgedanken erkennen.

 

Bei solcher Betrachtungsweise der Quellen muß man jedoch berücksichtigen, daß die römische Geschichtsschreibung vor allem nur dasjenige wiedergab, was aus ihrer Sicht wichtig, wesentlich oder merkwürdig erschien. Dabei muß bedacht werden, daß die antiken Historiker und Schriftsteller sicherlich manches subjektiv gesehen haben, darüber hinaus aber als römische Staatsdiener zu loyaler Darstellung der Geschehnisse gegenüber Rom angehalten waren. Insgesamt sahen sie aber in ARMINIUS einen höchst ernstzunehmenden Gegner, ja sogar einen “Freiheitskämpfer”, dem sie Hochachtung zollten. Daß es ein “Barbar”, - für einen Römer ein Halbwilder – wagte, die größte politisch-militärische Macht der Welt, das Imperium Romanum, anzugreifen, und daß dieser Barbar trotz riesiger Anstrengungen nicht besiegt werden konnte, nötigte ihnen nicht nur großes Erstaunen, sondern fast unverhohlene Bewunderung ab.

 

Natürlich wird in erster Linie der kämpferische ARMINIUS sichtbar, daneben auch der geniale Feldherr und Taktiker – ja sogar der Politiker und Staatsmann. Wie er sprach, mit welcher Kraft seiner Argumente und Worte, mit welch zündendem Feuer er die Männer seines Heerbannes mitzureißen vermochte, das klingt aus seinen von TACITUS überlieferten Ansprachen heraus, da steht uns die Person des ARMINIUS ganz und gar leibhaftig vor Augen und läßt uns ein Stück seines kämpferischen und leidenschaftlichen Wesens erkennen.

 

Der Cherusker hat in vielen Dingen anders als die meisten seiner Standesgenossen gedacht und empfunden. Schon früh muß er fähig gewesen sein, weit vorauszuschauen. Und er hat politische Zusammenhänge und Möglichkeiten erkannt und vorausgesehen, wozu andere Stammesführer weder imstande noch erfahren genug waren.

 

Vielleicht gerade wegen seiner Ausbildung in Italien muß er sich unter seinem römischen Panzer, im Herzen, mehr als Germane gefühlt haben denn als Cherusker. Es muß ihn zu diesem Volk von so vielen Stämmen, aber ähnlicher Sprache, gleichen Glaubens und gleichen Blutes ein so starkes inneres Zugehörigkeitsgefühl – ja Liebe – erfüllt haben, daß er bereit war, sich dafür mit aller Kraft und ohne Rücksicht auf sich selbst einzusetzen – was da auch kommen mochte.

 

Hierin unterschied er sich charakterlich ganz wesentlich von seinem Bruder FLAVUS, der gleich ihm in der römischen Armee als Offizier Dienst tat. FLAVUS hatte seine Entscheidung getroffen und sah die Zukunft der Germanen in der Unterwerfung unter Roms Macht und Kultur.

 

Dies galt für ARMINIUS nicht. Für ihn konnte die Zukunft nur in der selbständigen Entwickung eines freien Volkes liegen, und hierfür trat er kompromißlos ein. Wie sehr diese Haltung für ihn eine heilige Verpflichtung war, wurde vor allem in jener uns überlieferten hochdramatischen Unterredung deutlich, die er mit FLAVUS am Ufer der Weser führte.

 

Neidlos wird dem ARMINIUS hohe Intelligenz bescheinigt. Allerdings sparten die Römer auch nicht mit dem Vorwurf der Verschlagenheit, gepaart mit List, bis hin zum Vorwurf des “Verrats” – doch überwog meist die Kritik an dem “einfältigen Dummkopf” VARUS, der sich übertölpeln ließ.

 

Den Feind, wo es geht, zu täuschen, ihn in eine Falle zu locken und dann vernichtend zu schlagen, das gehörte zwar zu seiner Vorgehensweise, aber nicht zum Kern seines Wesens, eher schon sein kühler, wirklichkeitsbezogener Verstand. Oberster Grundsatz war ihm jedoch stets, den Feind abzuwehren, der das Leben und die Freiheit seines Volkes bedrohte.

 

Alles, was er tat, war diesem Zweck untergeordnet. Doch zur Erfüllung dieses Zwecks war ihm nicht jedes Mittel recht, sondern nur jenes, das geeignet war, die unmittelbare Bedrohung abzuwehren. Darüber hinaus ging sein Streben nicht. Er strebte nicht nach Gewaltherrschaft und Unterdrückung wie sein Feind, und auch nicht nach Ruhm und Reichtum. Er siedelte keine Völkerschaften um, er mordete keine Wehrlosen, er trat nicht die Freiheit anderer mit Füßen und zerstörte keine Kulturen. Er war zwar von tiefem Haß erfüllt gegen alles, was das Leben und die Freiheit seines Volkes bedrohte, aber dort, wo die Bedrohung endete, endete auch sein Haß, nur nicht seine Sorge, seine Wachsamkeit und seine Voraussicht.

 

ARMINIUS war stolz. Gegen persönliche Beleidigung wehrte er sich energisch. Er neigte auch zu leidenschaftlichem Zorn und Spott. Besonders stark ausgeprägt muß sein Selbstbewußtsein gewesen sein, sonst hätte er erst gar nicht versucht, die Legionen des VARUS und des GERMANICUS anzugreifen. Ebenso war er mit einem unbeugsamen und starken Willen und einem eisernen Stehvermögen ausgestattet, das ihn auch in sehr kritischen Lagen nie verließ.

 

Bei seinen sicherlich oft schwierigen Verhandlungen mit allzu bedächtigen oder wankelmütigen Mitstreitern, die für seine weit vorauseilenden Ideen wenig oder gar kein Verständnis aufbrachten, brauchte er ein starkes Durchsetzungsvermögen und die Gabe, seine Visionen einfachen Gemütern sichtbar zu machen. Alle diese Eigenschaften des ARMINIUS lassen sich klar aus seinen Taten und Äußerungen ablesen, die von den Geschichtsschreibern festgehalten worden sind.

 

Seine Frau THUSNELDA, die er entführte und gegen den Willen ihres Vaters SEGESTES heiratete, muß er sehr geliebt haben. SEGESTES verzieh den Brautraub nie und verfolgte beide mit unversöhnlichem Haß. Als die schwangere Frau durch den Verrat des Vaters in die Gewalt und Willkür seines Todfeindes GERMANICUS gerät, übermannen ihn, den harten Krieger, heftige Gefühle von Trauer und Zorn und bestärken ihn erst recht im Widerstand gegen Römer und Römlinge. Nach THUSNELDAs Gefangennahme richtet er einen flammenden Aufruf an seine Landsleute, die seine Seelentiefe zeigt.

 

Im ganzen gesehen, muß Arminius ein ungemein stolzer, selbstbewußter, willensstarker, kaltblütiger, selbstbeherrschter und furchtloser Führer von hinreißender Ausstrahlung, hohem militärischen Können, strategischem Weitblick und besonderen intuitiven Fähigkeiten gewesen sein, dessen visionärer staatsmännischer Geist seiner Zeit weit vorauseilte.

 

Der Frontwechsel

 

Seit langem und immer wieder haben sich Geschichtsforscher anhand der Aufzeichnungen antiker Historiker mit der Frage beschäftigt, was jenen jungen Fürstensohn mit römischer Bildung und einer beachtlichen militärischen Karriere in der kaiserlichen Armee zu diesem wahnwitzig erscheinenden Unterfangen bewogen habe mochte, die Weltmacht Rom ausgerechnet auf ihrem politischen Höhepunkt und noch dazu mit ungleich schwächeren Kräften anzugreifen.

 

Wohl wird ihm stets bescheinigt, daß er dies aus Liebe zu seiner Heimat und für das Leben und die Freiheit seines Volkes gewagt habe, nachdem der römische Statthalter Publius Quinctilius VARUS seine kolonialistische Politik gegenüber den freiheitsliebenden Germanen unerträglich verschärft hatte.

 

Reicht diese Erklärung jedoch aus? War dies wirklich der alleinige Grund, um ARMINIUS die Fronten wechseln zu lassen?

 

Genügten lediglich die zwei Jahre VARUS-Herrschaft, um einen derartigen Sinneswandel hervorzubringen und ihn zum Todfeind Roms werden zu lassen?

 

Waren es also wirklich nur die überhöhten Tributforderungen und die unmenschlichen Methoden, mit denen VARUS unter der scheinheiligen Devise “Jus et Ordo” (Recht und Ordnung) vorging, die ihn zum Bruch mit Rom bewogen?

 

Oder gab es bei ARMINIUS noch andere, schwerwiegendere Gründe, die vielleicht mit Überzeugungen zusammenhingen, die seit langem in seinem tiefsten Innern gewachsen waren? War mit VARUS vielmehr die Grenze erreicht worden, die ihn noch vom endgültigen Handeln trennte?

 

Gab es andererseits nicht auch Hemmungen zu überwinden, diesen letzten Schritt zu tun? Er mußte doch wissen, daß ein Scheitern des verwegenen Unternehmens zu Knechtschaft, Sklaverei oder Tod nicht nur für ihn selbst, sondern für alle Beteiligten und sein Volk führen würde! Durfte er diese große Verantwortung dennoch auf sich nehmen? Wie konnte er sich in seiner Entscheidung so sicher sein?

 

Vor allem sollte man annehmen, daß ARMINIUS Skrupel haben mußte, das Vertrauen des VARUS zu brechen und seiner Verpflichtung zur Gefolgstreue gegenüber Rom untreu zu werden. So haben es jedenfalls die Römer gesehen. Wenn sie von einem Vertragsbruch sprechen, ist das aus ihrer Sicht berechtigt. Aus germanischer Sicht, die das Leben und die Freiheit des eigenen Volkes am höchsten stellte, muß das nicht so sein. Bündnisse mit einem Staat, den sie als ein abstraktes Gebilde ansahen, betrachteten Germanen ohnehin nicht als bindend, sondern nur Bündnisse von Person zu Person. So wurden Bündnisse mit anderen Stämmen stets nur zwischen ihren Oberhäuptern abgeschlossen. So mag sich auch ARMINIUS lediglich dem TIBERIUS verpflichtet gefühlt haben, nicht aber dem Imperium und dessen Statthalter VARUS. Ob er überhaupt je eine Art Diensteid auf jenen geleistet hat, ist unbekannt; vielleicht war ein solcher von ihm nie verlangt worden. Wenn doch, wie konnte er so umfassend und jahrelang den VARUS täuschen, um ihn schließlich zu vernichten? Ging das nicht gegen seine Ehre als allerhöchstes Gut eines Germanen, deren Verlust gesellschaftliche Ächtung, ja Verdammnis noch im Jenseits zur Folge hatte?

 

Amderseits hatte VARUS längst die schwerste Form des Treubruchs begangen; er hatte sich nicht als Freund der Germanen verhalten, sondern als Feind erwiesen. Er hatte damit ARMINIUS und sein Volk verraten. Wie lange sollte sich da ein Germane noch an Bündnistreue gebunden fühlen? Ja, konnte ein Mann von Ehre anders handeln, als sich gegen den Verräter, gegen den Feind des Volkes zu wenden?

 

ARMINIUS mußte Roms Hauptübel wohl schon Jahre vor seinem Bruch mit Rom erkannt haben. Der römische Staat war vor allem ein Sklavenhalterstaat. Wegen der gewaltigen militärischen Überdehnung des Imperiums wurden italische Bürger, insbesondere die Bauern, jahrelang der eigenen Scholle entrissen, um als Soldaten an allen Fronten der damaligen Welt Dienste zu tun. Daher war man darauf angewiesen, die Arbeiten in der Landwirtschaft, in den Bergwerken und im sonstigen Gewerbe immer mehr von Sklaven verrichten zu lassen.* Um diese Massen zu ernähren, kauften Reiche und Spekulanten die Äcker der Kleinbauern zu Niedrigpreisen auf und bildeten riesige Großgrundbesitze, sogenannte “Latifundien”, die sie vor allem von Sklaven billig bewirtschaften ließen. Die Latifundienbesitzer wurden schließlich so mächtig, daß sie beispielsweise die Getreidepreise diktieren und dadurch immer größere Gewinne an sich ziehen konnten.

 

Footnote: Das Los römischer Sklaven war Mühsal und Elend. Am schlechtesten erging es den Berg- und Bauarbeitern. Ihre Nahrung bestand aus dem Existenzminimum. Ihre Knechtschaft währte, bis Alter oder Krankheit sie nutzlos machten; dann ließ man sie verhungern.

 

Diese Entwicklung wirkte sich besonders schädlich auf die arbeits- und wurzellos gewordenen Bauern aus. Sie wanderten als Landflüchtige in die großen Städte ab und bildeten dort mit anderen Gestrandeten eine Art Massenproletariat, die “Plebs”, deren ständige Forderungen “Brot und Spiele” waren. In Rom zählte man damals schon etwa 700,000 Einwohner. Um die Plebs bei guter Laune zu halten, mußte der Staat sie kostspielig ernähren und unterhalten, damit Unruhen und Bürgerkriege möglichst unterblieben.

 

Die neue Wirtschaftsweise verlangte gleichzeitig eine ständige Ertragssteigerung, einen wachsenden Raubbau an der Natur und eine immer rigorosere Ausnutzung der Sklaven. Das führte dazu, daß die Forderungen an den Nachschub von Sklaven immer höher wurden. In den zahlreichen Eroberungskriegen Roms wurden Hunderttausende von Kriegsgefangenen gemacht, die von den siegreichen Feldherren wie Arbeitsvieh an die Händler verkauft wurden. Die Händler wiederum verschacherten die Unglücklichen an das stets nach immer größerem Luxus und Lustgewinn strebende neureiche Großbürgertum und die Machthaber, die nun ihrerseits von den billigen Arbeitskräften noch einmal profitierten – ein niederträchtiger Menschenhandel ohnegleichen!

 

Jene Sklaven aber, die ungewollt dem eingeborenen Bauernstand Arbeitsplätze und Verdienst nahmen, sollten dereinst die Zerrüttung des Imperiums mitverursachen.

 

Was nutzte da die vielgerühmte “Weltherrschaft” Roms, wenn dabei das eigene Volk schweren Schaden nahm?

 

Vor diesem Hintergrund muß man versuchen, den Gründen näherzukommen, die ARMINIUS veranlaßt haben, sein kühnes Unternehmen zu planen und durchzuführen. ARMINIUS, der wohlerzogene Sohn eines germanischen Fürsten, wird mit den schärferen und kritischeren Augen des Fremdlings enttäuscht bemerkt haben, wie es um die vielgepriesene Segnungen der römischen Zivilisation und Kultur mit ihren glänzenden Palästen, Tempeln, Thermen and grandiosen Werken der Technik sowie um die Verwaltung des ganzen Staatswesens bestellt war. Vermutlich hat auch ARMINIUS dies anfangs alles bewundert, bis er die dunkle Kehrseite erkannte.

 

Fast wie jeder, der aus dem harten Leben des Landes im Norden mit seinen langen Wintern, dem naßkalten Klima, den endlosen Wäldern, Mooren und Waldgebirgen nach Italien kam, wird er zunächst mit Begeisterung diesem Land verfallen sein, mit seiner Sonnenflut und seinem Reichtum an zivilisatorischen Errungenschaften und großen Bauten, die von der schöpferischen Intelligenz seiner Bewohner, aber auch der blutigen Versklavung und Beraubung halb Europas und weiter Teile Nordafrikas und Vorderasiens zeugten. ARMINIUS mag den Verstand und die Urteilskraft besessen haben, um unter die großartige und verführerische Oberfläche zu blicken und zu begreifen, was sich alles hinter der Fassade der vielgerühmten Pax Romana verbarg.

 

So wird er schon sehr bald festgestellt haben, daß innerhalb des römischen Adels einige wenige reiche Familien den Ton angaben und das Volk willkürlich beherrschten. Ihre Methoden waren einfach und wirksam. Sie selbst pflegten die feinsinnige Rede und sahen auf ihr Ansehen, opferten den Göttern und (forderten) förderten die Künste. Während sie die Gesetze ehrten und sich in ihren weißen Togen erhaben und unantastbar gaben, überließen sie die schmutzigen Arbeiten anderen: - den Heerführern, politischen Handlangern, Wachen und den Banden von Spitzeln, Betrügern, Erpressern, Mördern und Giftmischern, die sie alle für sich und die Vermehrung ihrer Macht und ihres Reichtums arbeiten ließen.

 

Daneben gab es einen Geldadel von Neureichen, von verbrecherischen Blutsaugern, die aus den Knochen von Millionen Sklaven ihren Profit quetschten, damit sie in ihren Luxusvillen und Landgütern einem Dolce Vita mit Gelagen, Spielen, Mätressen und Lustknaben frönen konnten.

 

Später dürfte ARMINIUS auch herausgefunden haben, daß sein militärischer Vorgesetzter Publius Quinctilius VARUS aus dem gleichen Holz geschnitzt war. Diese Erkenntnis kann ihn nur in seinem Vorhaben bestärkt haben.

 

Vermutlich erkannte er auch die übrigen Zeichen des Verfalls auf fast allen Gebieten des römischen Lebens. Da waren die wachsende Brutalität und Unmoral, der aufgeblähte Militärapparat, die wirtschaftlichen Probleme, einhergehend mit untragbaren Steuern, der Niedergang des Bauerntums, das Überhandnehmen arbeitsloser Massen, “die auf Kosten des Staates lebten und zahlreicher waren als jene, die ihn erhielten”. Da waren Staatsorgane, die unfähig geworden waren, zuverlässig für Recht und Ordnung zu sorgen, da waren Bürgerkriege, Heere fremder Sklaven, die jene Arbeiten verrichteten, die die Bürger nicht leisten wollten, und fremde Söldner, die für die Sicherheit der römischen Grenzen und die Beschaffung von Sklaven sorgten. Vor allem aber gab es die römischen Kampfmaßnahmen gegen “Feinde” – und das war jeder, der sich Rom widersetzte. Sie waren erbarmungslos, kannten keine Gnade. Die Anführer der “Feinde” wurden entweder hingerichtet oder auf römischem Hoheitsgebiet lebenslang interniert. Männer, Frauen und sogar Kinder traten den Weg in die Knechtschaft an oder wurden umgesiedelt.

 

Wie Rom seinerzeit seine Kriege führte, Deportationen, Vertreibungen, “Säuberungen” und “Strafexpeditionen” vornahm, darüber geben die zeitgenössischen Historiker und Berichterstatter anschaulich Auskunft. Als römischer Offizier wird ARMINIUS vor allem das für alle höheren Chargen des Heeres obligatorische Standardwerk des Gaius Julius CAESAR, De bello gallico, nicht nur gekannt, sondern sehr genau studiert haben. Es muß ihm klar geworden sein, daß dieser CAESAR, hochgerühmt als Feldherr, verantwortlich war für die weitgehende Vernichtung des keltischen Volkes und dessen Kultur (CAESAR eroberte etwa 800 keltische Siedlungen, unterjochte rund 300 Volksstämme, tötete über eine Million Kelten und verkaufte rund eine weitere Million als Sklaven). Er wird vermutlich auch erfahren haben, daß CAESAR durch Bestechung, Intrigen und Terror zu seiner Machtstellung gekommen war, die einzigartig in der Welt Roms gewesen ist. ARMINIUS wird nicht nur die heuchlerischen “Kriegsgründe” gekannt haben, mit denen CAESAR Völker überfiel und vernichtete, er kannte wohl auch die blutigen Zahlen seiner “Befriedungsaktionen”, so zum Beispiel, daß er rund 80,000 Krieger des Suebenkönigs ARIOVIST niedermachte und 40,000 Frauen und Kinder in die Sklaverei verkaufte. Mit dem Erlös aus dieser Tat festigte der “genialste Feldherr seiner Zeit” und “berühmtester Sohn Roms” seine militärische und politische Position und erhob sie zu beispielloser Größe. ARMINIUS wußte um die Tragik des großen Germanenfürsten ARIOVIST, der im Jahr – 58 beinahe “Weltgeschichte” gemacht hätte, wenn er statt CAESAR in der Entscheidungsschlacht um Gallien gesiegt hätte.

 

Er wird wohl auch von den 60,000 Nerviern gelesen haben, von denen nur 500 als Sklaven überlebten, und von den 53,000 Atuatucern (keltisch-germanische Belgier), die ebenfalls zu Sklaven gemacht wurden. Die von den Aufkäufern erzielten Summen wanderten vor allem in CAESARs Privatkasse.

 

ARMINIUS war vermutlich auch bekannt, daß CAESAR sich rühmte, seine Legionen hätten in den Feldzügen gegen die Helvetier 238,000 Menschen niedergemetzelt, davon 92,000 Wehrfähige – 146,000 waren demnach Alte, Frauen und Kinder.

 

In den Berichten über römische Feldzüge in einem Zeitraum von rund hundert Jahren – die treffender “römische Völkermordverbrechen” und “Versklavungs- und Ausbeutungskriege”

genannt werden sollten – fallen sich stets wiederholende Wendungen auf, wie “zu Tode geprügelt”, “enthauptet”, “vernichtet”, “wie Vieh abgeschlachtet”, “davongeschleppt”, “hingerichtet”, “mit Stumpf und Stiel ausgerottet”, “niedergemacht”, “ausgelöscht”, “niedergebrannt”, “dem Erdboden gleichgemacht”, “Hände abgehackt” …

 

Es wimmelt von Textabschnitten wie “Das Heer hatte den Feind wie Vieh abgeschlachtet, dessen Leben und Tod nur von seiner Gnade oder seinem Zorn abhing”, oder: “So ließ er denn das ganze Land durch Mord, Brand und Plünderungen verwüsten, wobei viele Einwohner erschlagen oder gefangengenommen wurden”, oder: “So ließ er allen, die Waffen getragen haben, die Hände abhacken und schenkte ihnen das Leben”, “Kein Geschlecht, kein Alter durfte auf Schonung hoffen, ob Menschen gehörend oder den Göttern geweiht, alles wurde dem Erdboden gleichgemacht”; “Die übrigen sättigten sich bis in die Nacht hinein am Blut ihrer Feinde” und: “In alle Richtungen schickte er seine Reiter, jedes Dorf und jedes Gehöft, das in Sichtweite kam, wurde niedergebrannt, das Vieh abgeschlachtet und die Beute davongeschleppt. Was an Getreide nicht vernichtet wurde, ging durch Regenfälle zugrunde. Selbst wer sich im Augenblick hatte verbergen können, mußte wahrscheinlich verhungern.”

 

Ganz sicherlich wird dem Cherusker das Schicksal des jugendlichen Fürsten der Gallier, VERCINGETORIX, tief beeindruckt haben, der nach heldenhaftem Freiheitskampf mit rund 300,000 Kriegern schließlich CAESAR unterlag, sich ihm vertrauensvoll unterwarf, dann nach sechs Jahren römischer Kerkerhaft in Ketten im Triumphzug durch Rom geführt und zuletzt auf CAESARs Befehl erdrosselt wurde.

 

ARMINIUS muß aus all dem begriffen haben: Der Zusammenstoß der beiden im Inneren wie im Äußeren so grundverschiedenen Welten der Römer und der Germanen konnte seinem Volk nur die existentielle Bedrohung seines Lebensrechts bringen. Römische Vorherrschaft unter den Beilen und Rutenbündeln der Liktoren würde ihrer aller Leben verändern, ja verderben, und sie immer mehr in Abhängigkeiten verstricken. Die ersten Anzeichen zeigten sich ja schon bei den eigenen romhörigen Adelsfamilien: Vom Glanz der Weltmacht verblendet, kassierten sie nur allzugern Bestechungsgelder für politisches Wohlverhalten und für Spitzeldienste. Würde jedoch das noch freie Germanien gänzlich von Rom unterworfen, so würde es nicht nur sein Innerstes, seine Seele und seine Wertvorstellungen verlieren, sondern vor allem seinen Fortbestand als eigenständiges Volk. Letzthin würde es zu keiner eigenen Kraftentfaltung mehr fähig sein.

 

Es würde – vermutlich unumkehrbar – zu einem von fremden Erobern beherrschten, zu Tributen verurteilten Kolonialvolk herabsinken, wie es die Gallier nach ihrer Niederlage geworden waren.

 

Was galten da die Vorzüge römischer Lebensart, wenn das, was den Germanen heilig war, auf einmal nicht mehr gelten sollte? Wo blieben dann die von altersher weitergereichten und sorgsam gepflegten heimischen Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Lauterkeit, Zuverlässigkeit, Furchtlosigkeit, Sittenreinheit, Treue gegenüber Sippe und Volk, Achtung vor dem Alter, den Frauen, der Mutter Natur und den Göttern der Vorväter?

 

Waren die nahegelegenen großen Heiligtümer zahlreicher Germanenstämme nicht in unmittelbarer Gefahr? Wenn sich die Römer ihrer bemächtigten und sie zerstörten, würde das in den Augen der Bevölkerung ein Versagen der eigenen Götter bedeuten und der Beginn der endgültigen Unterwerfung sein.

 

Würden dann unter der Zwangsherrschaft, nach dem Verlust des höchsten Gutes, der Freiheit, nicht alle eigenen Werte zerbrechen und auch hierzulande jene römischen Laster einreißen, die sogar von den eigenen römischen Mahnern verabscheut wurden? Faulheit und Verweichlichung, Geld- und Raffgier, Grausamkeit und Käuflichkeit, Verbrechen aller Art und Verwahrlosung der Sitten würden wie eine Seuche um sich greifen und schließlich zum Verlust der kulturellen Eigenart des Volkes und zu seinem völligen Untergang führen. Als ARMINIUS unter TIBERIUS Augenzeuge und Mitbeteiligter mehrerer Feldzüge in Germanien, an der Donau und in Pannonien (etwa im heutigen ungarischen Raum) war, wird er ebenso schreckliche Ereignisse erlebt haben. Starke moralische Gründe mögen bei ihm schon damals zur Erhärtung eines Entschlusses beigetragen haben, der bereits insgeheim in ihm aufkeimte.

 

ARMINIUS war vermutlich am Ufer der Elbe anwesend, als freiheitsgewohnte germanische Bruderstämme unter den Pilen (den Wurfspießen) der Legionäre zur Unterwerfung durch Kniefall vor TIBERIUS gezwungen wurden.

 

Er wird dabeigewesen sein, als ganze Volks- und Sippenverbände im Blutrausch systematisch ausgelöscht wurden, und er wird Raub, Plünderung, Verbrennung und Verheerung weiter Landstriche, samt ihren Siedlungen, Vernichtung der Ernten und Deportation Tausender Anwohner, ekelhafte Massaker an Alten, Müttern und Kindern, Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen erlebt haben. Er wird den Abtransport gefangener, in Ketten aneinandergeschmiedeter junger Männer zu den südlichen Sklavenmärkten verfolgt haben, von wo es auf die Ruderbänke der Galeeren und in die Gefängniskasernen der Gladiatoren ging. Er wird das entwürdigende Schauspiel mitangesehen haben, wenn orientalische Hurenhändler die blonden “Barbaren”-Schönheiten aus den zusammengetriebenen Transporten für die Soldatenbordelle der Legionslager in aller Welt ausmusterten. Da wird er oft genug gehört haben, wie er in seiner eigenen Sprache verflucht wurde, was ihn tief getroffen haben muß.

 

All dieses Wissen um die Methoden, mit denen Rom seine verbrecherische Eroberungspolitik und Gewaltherrschaft betrieb, wird der Cherusker mit sich herumgetragen haben. Irgendwann muß in ihm der Entschluß gereift sein, nicht Mittäter sein zu wollen, wenn seinem eigenen Volk genau das gleiche Schicksal bereitet werden sollte, wie es all den Stämmen und Völkerschaften widerfahren war, die man unter das römische Joch zwang.

 

So oder ähnlich mögen die Erkenntnisse, Gedanken und Gefühle Armins gewesen sein, die ihn zum Todfeind Roms werden ließen und ihn schließlich zu der Entscheidung führten, die Weltmacht bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit anzugreifen.

 

Freilich mögen noch andere, sehr persönliche Gründe mitgewirkt haben, die immer unergründlich bleiben werden. Später, im Verlauf der Kämpfe mit GERMANICUS, als seine Frau und sein Sohn in römische Gefangenschaft gerieten, werden ihn der Zorn und Schmerz darüber zu noch wilderer Entschlossenheit, zu noch unbeugsamerem Willen in seinem Ringen um die Freihet angestachelt haben.

 

Alles zusammengenommen, können berechtigter weise diese Hauptgründe für den Abfall des ARMINIUS angenommen werden:

 

1. Der bewaffnete Kampf gegen die römische Zwangsherrschaft als einziges Mittel zur Erhaltung des Lebens und der Freiheit seines Volkes.

2. Die Abwehr der geistigen Überfremdung, der die Germanen durch den drohenden Romanisierungsprozeß ausgesetzt sein würden.

3. Die Abwehr der moralischen und kulturellen Auflösung, die die Folge einer Unterwerfung unter Rom sein würde.

4. Die Abwehr der wirtschaftlichen Ausbeutung und Zerstörung, die von der Herrschaft Roms ausging.

5. Die Entscheidung gegen die Teilnahme an den Verbrechen der römischen Kriegführung und Eroberungspolitik.

6. Die Erkenntnis, nicht in römischem Offiziersrang gegen eigene Landsleute kämpfen zu dürfen.

7. Möglicherweise ein besonders grausamer Akt der Justiz römischen Statthalters Varus, „varianischer Justiz“, gegen persönliche Freunde und Gefolgsmannen.

8. Die eventuelle Gefährdung seiner eigenen Machtposition unter den Cheruskern. Unter Umständen hat auch die Erwägung eine Rolle gespielt, daß Rom auf Dauer vermöge der Verführung, die von seinen zivilisatorischen Errungenschaften ausging, mehr erreichen könnte als durch Waffengewalt und daß dem vorgebeugt werden müsse.

 

Der Plan zur Befreiung

 

Schon bald nach dem Eintreffen des VARUS am Rhein muß ARMINIUS den endgültigen Entschluß zur Befreiung gefaßt haben; herangereift war dieser sicher schon früher. Die politische Lage war ungemein günstig.

 

1. Die Sueben (ein großer Stamm westlich der Elbe) waren noch nicht völlig unterworfen.

2. In Pannonien und Illyrien herrschte die offene Rebellion gegen Rom. Von überall her wurden Truppen in diese Krisenregion geworfen. Darunter waren auch germanische Hilfstruppen; wahrscheinlich war ARMINIUS mit einer solchen Einheit anfangs beteiligt.

3. Der Markomannenkönig MARBOD – Herrscher im Raum Böhmen – profitierte von diesem Aufstand: Die 15 Legionen (100,000 Mann), die ursprünglich zu seiner Vernichtung in Marsch gesetzt waren, mußten kehrtmachen und wurden an die pannonisch-illyrische Front geworfen. Anstatt zur Vernichtungsschlacht kam es zwischen Römern und Markomannen zu einem “faulen Frieden”, und die große Armee blieb für Jahre gebunden. Mit einer römischen Bedrohung von Südosten her war also vorerst nicht zu rechnen.

4. MARBODs Militärstaat mit 74,000 Mann stehender Truppen blieb somit für Rom im Rücken der Front weiterhin eine große Gefahr.

5. Die römische Operation gegen die “unbotmäßigen” Elbgermanen wurde abgebrochen. Rom trat kurz. Es mußte wachsam sein – noch hatte es Germanien nicht im Griff.

Jetzt hielt ARMINIUS seine Zeit für gekommen. Gelingen konnte sein Unternehmen nur, wenn vor allem zwei Voraussetzungen erfüllt waren:

 

Erstens war er auf das völlige Vertrauen Roms in ihn angewiesen. In den Augen des Oberbefehlshabers VARUS sowie denjenigen seiner Offiziere und Beamten mußte er als ein absolut einwandfreier und linientreuer Parteigänger Roms gelten. Hierzu bedurfte es eines raffinierten Doppelspiels, das eine fast übermenschliche Kaltblütigkeit und Intelligenz erforderte.

 

So inszenierte er mit meisterhafter Verstellung und Erfindungsgabe immer neue fingierte “Fälle”, wie zum Beispiel durch Vorspiegelung von sozialen Unruhen hier und dort, die nur botmäßig sein würden, wenn die römische Gerichtsbarkeit eingriffe. Und stets pflichtete er ostentativ dem von VARUS vertretenen Standpunkt bei, diese germanischen Bauernschädel seien einfach zu dumm und zu primitiv, um die Vorteile römischer Lebensweise und Kultur, “das beste Recht der Welt” und die “Befriedung” unter römischer Herrschaft zu begreifen.

 

Insbesondere in juristischen Fragen schmeichelte er dem VARUS und meldete ihm, daß dessen nützliche Maßnahmen schon zu greifen begännen. Immer wieder fragte er ihn um Rat, wie er dieses oder jenes schwierige Problem am besten lösen könnte. Man muß es sich vorstellen, wie der Jurist in VARUS diesen Schmeicheleien und dieser vertrauensbildenden Taktik der erfundenen Fälle und Aktionen erlag. Daneben half er dem Römer mit seiner Sprach-, Orts- und Menschenkenntnis und wurde diesem schließlich unentbehrlich.

 

ARMINIUS hatte die Schwachstellen bei seinem zukünftigen Gegner klar erkannt und nutzte sie kaltblütig aus. Freilich war solch prorömisches Gebaren eines germanischen Fürstensohnes nicht ungefährlich, denn wer von seinen Landsleuten konnte hinter der meisterhaften Maske der Verstellung den Freiheitskämpfer ARMINIUS erkennen? Wieviele mochten ihn als einen überzeugten “Römling” tief gehaßt haben – um so stärker, weil er einer von ihnen war und dem heimischen Adel angehörte. Wie leicht hätte er das Opfer eines Attentats aus den Reihen seiner Volksgenossen werden können – dann wäre kaum ein anderer mehr dagewesen, das Befreiungswerk durchzuführen, und eine Schlacht wie im Jahre 9 mit ihrer geschichtlichen Bedeutung für Germanien wäre vielleicht nie geschlagen worden.

 

Die zweite Voraussetzung für den Erfolg war, daß es ARMINIUS gelingen mußte, Stämme, deren Kampfbereitschaft nur auf Freiwilligkeit beruhte, zu einem Unternehmen von langer Dauer und höchst unsicherem Ausgang zusammenzuführen. Wußte er denn, ob er sich auf diese Stämme, die sich oft genug untereinander bekämpft hatten, verlassen konnte, wenn es ernst wurde?

 

Den Germanen war von Natur aus jeder Zwang zuwider. Betont straffe militärische Führung lehnten sie als eingefleischte Individualisten ab. Sie gehorchten nur freiwillig – dann aber konsequent-, auch wenn es das Leben kostete.

 

Vermochte er die selbstbewußten Stammeshäuptlinge zu einmütigem Handeln zu bewegen und die Männer unter allen Umständen zusammezuhalten? Wußte er denn, ob die Durchführung der Schlacht nicht an Mangel an Disziplin gefährdet würde? Er verfügte in ihnen ja nicht über römische, in harter Disziplin gedrillte Legionäre!

 

Wußte er denn, ob nicht seine Unterführer durch Rivalitäten oder unbedachtes Drauflosstürmen alle seine strategischen und taktischen Überlegungen über den Haufen werfen würden? Seine Unterführer waren Haudegen, aber keine kühl operierenden, in hundert Schlachten ergraute Centurionen!

 

Würde überhaupt die Nachrichtenübermittlung mit Rauchzeichen, Meldereitern, Läufern und anderen Mitteln über lange Wegstrecken und in unwegsamem Gelände funktionieren?

 

Würden seine Krieger standhalten, wenn sich die Römer nach dem ersten Schock rasch faßten, formierten, zurückschlugen und es hohe Verluste geben würde?

 

Was wäre, wenn ein Stamm plötzlich keine Lust mehr hätte und die Krieger sich auf den Weg nach Hause machten?

 

Konnte er überhaupt diese Menschen, mangelhaft bewaffnet, militärisch wenig geübt und nur der eigenen Kraft vertrauend, gegen eine hochgerüstete Militärmaschinerie von altgedienten Berufssoldaten in einen Kampf auf Leben und Tod führen? Und würde er sie trotz möglicher Rückschläge zu monatelangem Durchhalten bewegen können?

 

Diese und noch viele andere Unwägbarkeiten mögen ihm schlaflose Nächte bereitet haben.

 

Doch er muß auf seine unwiderstehliche Wirkung auf Menschen gesetzt haben und – auf die Mithilfe der Götter, wurde doch nach germanischem Glauben den Günstlingen der Götter nicht nur die edle Herkunft verliehen, sondern auch die Fähigkeit, Heil und Erfolg zu spenden.

 

Und diese Fähigkeit besaß ARMINIUS! Er muß auch selbst fest an sie geglaubt haben, sonst hätte er diesen unerschütterlichen Mut nicht aufbringen können, das schier Unmögliche zu wagen. Dazu gehörte aber auch die Bereitschaft, wenn es denn sein sollte, mit allen Konsequenzen unterzugehen.

 

Wenn es außerdem zuträfe, daß der Herzog ARMINIUS zugleich auch oberster Hüter der religiösen Heiligtümer seines Herrschaftsgebietes war, dürfte er auch in dieser Funktion einen starken Einfluß ausgeübt haben.

 

Die Verschwörung

 

Je länger VARUS herrschte, desto mehr wuchs im Volk der Widerstand. Die Edlen und Besitzenden, selbst wenn sie von Rom priviligiert waren, fürchteten um ihre Unabhängigkeit, um den Verlust ihrer angestammten Rechte und um ihre gesellschaftliche Stellung. Das einfache Volk, das überhaupt keine Vorteile von einer Unterwerfung zu erwarten hatte, murrte immer lauter, denn ihm wurden die Hauptlasten der wachsenden Zwangsherrschaft aufgebürdet.

 

Als naturverbundene und kaum verbildete Menschen mit dem gesunden Instinkt für lebensbedrohende Fremdeinflüsse standen die meisten aus der Bevölkerung den Eindringlichen feindlich gegenüber. Das bereits von CAESAR romanisierte Gallien mag ihnen als abschreckendes Beispiel vor Augen gestanden haben.

 

Aber mehr noch als die Waffen der Besatzer haßten sie die römische Justiz. Wenn die Liktoren mit angeblich so “gerechten Gesetzen”, mit Ruten und Henkerbeilen, mit Unterdrückung, grausamen Strafen und entwürdigender Behandlung in die friedliebende, bäuerliche Welt ihrer Siedlungen eindrangen, ballten sich ihre Fäuste.

 

Mit Feuer und Schwert, Ausbeutung, Versklavung und brutaler Gerichtsbarkeit ließ sich in Germanien keine Sympathie für die Segnungen romanischer “Befriedungspolitik” gewinnen.

 

So ist anzunehmen, daß ARMINIUS keineswegs alleinstand, wenn es um den Widerstand gegen Rom ging. Wie überall im römischen Weltreich, bewirkte die imperiale Eroberungs- und Besatzungspolitik immer wieder Unruhen und Aufstände. Unter vielen angeblich “befreiten” und “befriedeten”, in Wahrheit unterjochten Völkerschaften gärte es allenthalben. Daß es im Cheruskerland zunächst noch ruhig geblieben war, lag daran, daß dieses Land zwischen Rhein und Weser anfangs noch nicht unter Besatzungrecht stand, also keineswegs bereits römisch war. Römisches Militär lag lediglich in den Standlagern, wo es sogar überwinterte – ein Beweis dafür, daß man sich sicher fühlte. Römische Händler, die in germanischen Landen ihr Gewerbe betrieben, wurden von den Einheimischen nicht nur geduldet, sondern auch geschätzt, wie die Funde zahlreicher “Importe” römischer Industrie bestätigen. Es gab öffentliche Märkte, auf denen die Germanen mit den Fremden Handel trieben.

 

“In ihren herkömmlichen Gewohnheiten wurden die Cherusker nicht eingeschränkt; sie behielten ihre angestammten Sitten und ihre auf ihren Waffen beruhende unabhängige, freiheitliche Lebensweise. Wäre dieser Zustand einer allmählichen, kaum spürbaren äußeren und inneren Angleichung mit Behutsamkeit fortgesetzt worden, hätten sie sich in ihrer Lebensweise weder beschwert noch bedroht gefühlt und hätten sich vielleicht – ohne daß sie es merkten – in ihren Auffassungen gewandelt”.

 

So beschrieb der römische Schriftsteller CASSIOS DIO* die Lage. Indirekt war das eine Kritik am Fehlverhalten des VARUS. Was er allerdings nicht sagt, ist, daß am Ende solcher Umerziehung unweigerlich auch das Ende ihrer völkischen Identität und Freiheit gestanden hätte. Ihr Schicksal wäre auch das gallische geworden – eine “Colonia Germania” – eine Sklavenkolonie.

 

(* CASSIUS DIO, Lib. LVI)

 

Ob ARMINIUS, der hervorragende (Könner) Kenner römischer Eroberungspolitik, diese schädliche Entwicklung für sein Vaterland seit langem voraussah – für diese Annahme gibt es, wie schon gesagt, triftige Gründe – oder ob er erst unter dem Eindruck der drakonischen Unterdrückungs- und Ausbeutungsmethoden des VARUS zum offenen Widerstandskämpfer und Todfeind Roms wurde, ist unbekannt. Jedenfalls hat er sich bei seinem Vorhaben auf eine schon vorhandene Gegenstimmung bei jenen stützen können, die – aus welchen Gründen auch immer – in den Fremden verhaßte Eindringliche sahen, die man wieder lossein wollte und gegen die man zornig aufbegehrte.

 

Er allerdings war es ganz allein, der die Glut unter der Oberfläche zu hellem Brand zu entfachen vermochte. Es zeugt von seinem überragenden politischen Gespür, daß er den bewaffneten Widerstand gegen Rom von vornherein auf einem exakten militärischen Plan gründete, zu dessen Gelingen viele Dinge zusammenwirken mußten und den er nach sorgfältiger Vorbereitung genau zu dem einzig möglichen Zeitpunkt ausführte. Eine Alternative dazu gab es nicht.

 

Mit den Cheruskern allein war ARMINs Plan nicht durchführbar. Um überhaupt eine Chance für seine Durchführung zu haben, mußte gegenüber der gewaltigen Feindesmacht wenigstens ein annähernd gleichstarker Heerbann zu gegebener Zeit aufgeboten werden. Nur im Herbst des Jahres 7, im Jahr 8 und im Winter 8 auf 9 hatte ARMINIUS Zeit, sich verläßliche Bundesgenossen zu suchen. Er wird sich an die rechtsrheinischen Stämme gewandt haben, an die Marser und Chatten, die Brukterer, Tenkterer und Usipeter, die Tubanten und Angrivarier, an die Ampsivarier und vor allem an die weiter im Südosten ansässigen Markomannen, deren mächtiger König MARBOD in seinen weitergespannten Plänen die Rolle der zweiten militärisch wirkungsvollen Kraft im Widerstand gegen Rom spielen sollte. Doch versagte MARBOD seine Mithilfe. Von den Stämmen, die am Bund des ARMINs beteiligt waren, sind nicht alle bekannt. Es werden jene gewesen sein, die bereits unmittelbar unter der römischen Herrschaft litten und Ausbeutung, Folter, Brandschatzung, Vergewaltigung und Grausamkeiten aller Art erdulden mußten, insbesondere die Germanen zwischen Rhein, Ems und Weser, also neben den Cheruskern die Brukterer, Marser, Ampsivarier sowie die Reste der Umsipeter und Sugambrer, dazu die Chatten.

 

Es war alles andere als ein mächtiger Verbund, der da zustande kam, und die verfügbaren Bauernkrieger – eher eine Art Landsturm – konnten zwar sicher mit Lanze, Schleuder und Schwert umgehen, waren aber nicht im geringsten vergleichbar mit der Armee aus Berufssoldaten des Imperium Romanum, in der alles bis ins kleinste nach “Heeresdienstvorschrift” geregelt war, mit ihren kriegsgewohnten und in militärischer Zucht geübten Legionären, ihren Bataillonen von Bogenschützen, ihren leichten und schweren Wurfgeschützen. Ein direkter Angriff auf die festgeschlossenen Schlachtreihen einer römischen Legion, die bataillonsweise auf Zeichen und Signale fast wie ein Mann manövrierten, war ebenso aussichtslos wie ein Angriff auf ein schwerbefestigtes Legionslager mit Wall, Graben, Palisaden und Defensivgeschützen.

 

Diesem Mangel konnte nur durch eine Taktik begegnet werden, in der sich die Germanen auskannten und in der sie der römischen Übermacht überlegen waren – in einer Kampfesweise, die man heute Guerillakampf nennen würde. (2)

 

(2) Guerillakampf ist nicht zu verwechseln mit Partisanenkampf, wie ihn beispielsweise die Franctireurs von 1870, jugoslawische, sowjetische und italienische Partisanen während des Zweiten Weltkrieges geführt haben. Partisanen sind kleine, meist im Rücken des Feindes und aus dem Hinterhalt operierende, irreguläre, nicht als Soldaten gekennzeichnete Terrorgruppen. Stellenweise werden sich allerdings Teile der germanischen Bevölkerung partisanenähnlicher Kampfmethoden bedient haben.

 

Wollte ARMINIUS als der eindeutig Schwächere seinem übermächtigen Gegner einigermaßen gewachsen sein und durchschlagenden Erfolg erzielen, mußte er je nach gegebener Lage alle nur erdenklichen Kriegslisten, wie Täuschung, Tarnung und Verschleierung, sowie sich anbietende Geländevorteile nutzen. Dabei durfte auf gar keinen Fall nur ein schwacher Teilerfolg erzielt werden – das gesamte, ohnehin höchst riskante Unternehmen wäre ganz sicher mit katastrophalen Folgen gescheitert.

 

Ein besonders schwieriger Teil seines Planes war, die Dinge erst dann in Fluß zu bringen, wenn die Zeit des Losschlagens gekommen war; denn erst, wenn der genaue Rückmarschweg vom Weserlager des VARUS bekannt war, konnten taktische Einzelheiten des Überfalls festgelegt werden.

 

So wird Armin mit den durch Eid und Treuschwur verbundenen Stammesoberhäuptern in geheimen Zusammenkünften alle nur möglichen Gefechtslagen mit allen ihren unvorhersehbaren Unwägbarkeiten exakt durchgesprochen haben, insbesondere jene, die den örtlichen und zeitlichen Ablauf betrafen. Man wird diejenigen Gegenden, die vermutlich in erster Linie in Frage kamen, vor allem nach deren Geländebeschaffenheit und taktischer Eignung beurteilt haben.

 

Gab es auf dem Weg, der von VARUS mit größter Wahrscheinlichkeit benutzt würde, Höhen, Täler, Schluchten, Moorstrecken und Gewässer, wo sich natürliche Hinterhalte, Erdschanzen, Wegesperren und Aufstauungen anboten? Wo müßte günstigenfalls eine zentrale Befehlsstelle zur Schlachtführung liegen, und wo könnten geheime Waffenlager und Stützpunkte in schon vorhandenen nahen Zufluchtsstätten angelegt werden?

 

Man mußte außerdem geeignete Mittel zur Nachrichtenübermittlung zwischen den Bundesgenossen bestimmen, verschwiegene und wegekundige Sendboten auswählen sowie Schutzmaßnahmen gegen Verrat vereinbaren. Bis zum Beginn der Kampfhandlungen mußten die Anmarschwege, die Entfernungen und Marschzeiten der Verbündeten erkundet, und es mußte sichergestellt sein, daß alle Waffenfähigen aus den entlegensten Siedlungen, Weilern und Einzelgehöften kurzfristig benachrichtigt würden, damit sie rechtzeitig an ihren Sammelpunkten eintreffen konnten.

 

Es ist höchst bewundernswert und beweist eine hervorragende Organisation und Disziplin, daß alle diese Vorbereitungen und Planungen tatsächlich bewältigt wurden und daß trotz unterschiedlicher Entfernungen, unter Umgehung römischer Posten und trotz der Notwendigkeit, Urwälder, Moore, Wasserläufe und Waldgebirge zu durchqueren, insgesamt 15,000 bis 20,000 Kämpfer zeitgerecht im Kampfgebiet eintrafen. Die verläßlichste Kerntruppe wird ARMINs eigene Auxiliareinheit gewesen sein. Diese kam in ihrer Ausbildung jener der Legionäre nahe, war aber leichter bewaffnet.

 

In diesem Zusammenhang interessiert die vermutliche Truppenstärke, die Arminius zur Verfügung stand. Diese festzustellen, ist schwierig. Genaue Bevölkerungszahlen und die Siedlungsdichte der einzelnen Stämme sind nicht bekannt, sie lassen sich nur sehr grob anhand der Gräberfelder und der Dichte von Bodenfunden abschätzen. Die ungefähre Stärke eines mittelgroßen Stammes könnte bei 25,000 bis 50,000 Menschen, die durchschnittliche Anzahl der Krieger höchstens bei 5,000 bis 10,000 Mann gelegen haben. Rechnet man mit einer Beteiligung von drei bis vier Stammesverbänden, kommt man auf die Gesamtkampfstärke von etwa 20,000 bis 25,000 Waffenfähigen. Auf jeden Fall wird der germanische Heerbann, wenn nicht zahlenmäßig, mit Bestimmtheit in Bezug auf Ausbildung und Ausrüstung wesentlich schwächer als die im Land stehende römische Armee mit ihren zahlreichen Hilfstruppen gewesen sein.

 

Der Schlachtplan

 

Was ARMINIUS den versammelten Stammesfürsten entwickelte, hörte sich vielleicht einfach an, war aber in der Durchführung nur möglich, wenn die Dinge reibungslos und präzise zusammenwirkten.

 

Die Zeit war günstig. Die Masse der römischen Legionen stand noch gebunden in Pannonien. Der erfolgversprechende Zeitpunkt für ein Losschlagen war derjenige, wenn VARUS seine drei Legionen in die Winterquartiere nach Köln und Xanten zurückführte. Dann wollte ARMINIUS durch einen vorgetäuschten Aufstand die Armee von der festen und gesicherten Heerstraße in die Wälder und Schluchten des heimischen Gebirges oder in eine Moorenge locken. Dort mußten sich die Marschkolonnen und Trosse auf schlechten Wegen notgedrungen vom bestens abgesicherten Agmen (Quatratum) Quadratum (fester Marschordnung) (siehe nächste Seite) ins Agmen Expeditum (aufgelockterer Marschordnung) umgruppieren und sich in die Länge ziehen. Die langgezogenen Kohorten durften weder ausweichen, noch sich zusammenschließen können. Dann wollte man den Heerwurm aufsplittern und durch pausenlose Angriffe aus sicherem Hinterhalt einzeln vernichten. Um ausbrechende Einheiten nicht entkommen zu lassen, waren bestimmte Engen und Pässe durch Sperren zu blockieren. Die Bundesgenossen hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt an bestimmten Sammelplätzen bereitzuhalten. ARMINIUS selbst mit seiner Auxiliartruppe wollte dann das Signal zum gemeinsamen Angriff geben, und danach sollten die einzelnen Kampfverbände selbständig in ihren vorher bestimmten Abschnitten operieren.

 

Die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg wird ARMINIUS dem kleinen Kreis der Eingeweihten besonders eindringlich klargemacht haben. Es mußte ein einziger umfassender Überraschungs- und Vernichtungsschlag erfolgen. Eine Verzettelung in Einzelaktionen, ohne den Feind vernichtend zu treffen, war unbedingt zu vermeiden. Das würde nur mit um so brutalerem Militäreinsatz vergolten werden. Doch das Hauptproblem der Verschwörer war: Wie kann die Vorbereitung des Schlages gegen die Armee des VARUS bis zuletzt unbemerkt bleiben? Denn selbst bei größter Geheimhaltung mußte die Zusammenziehung der Truppen spätestens kurz vor ihrem Zuschlagen bemerkt werden. Eine absolute Geheimhaltung hätte sich unmöglich durchführen lassen, römische Militärs würden durch ihre Spione und durch landeskundige Händler zweifellos Kenntnis erhalten haben. Außerdem mußte man mit eigenen Verrätern rechnen.

 

ARMINIUS muß es vermocht haben, die Führer der Bundesgenossen davon zu überzeugen, daß mit der vollständigen Täuschung der Römer über die Vorbereitungen zur Schlacht bis zu derem unmittelbaren Beginn alles stand oder fiel.

 

Außer den auf unbedingte Verschwiegenheit eingeschworenen Stammesfürsten durfte zunächst niemand in seinen Plan eingeweiht werden. Darüber hinaus mußte das Zusammenziehen der Krieger so verdeckt geschehen, daß es nicht als Vorbereitung zu einer Schlacht verstanden werden konnte. Das war am ehesten gewährleistet, wenn das ganze Unternehmen sozusagen “legal”, im Rahmen einer militärischen Operation des VARUS, ablief – gleichsam unter den Augen des Statthalters. Das hatte den großen Vorteil, daß die Truppenbewegungen kaum Argwohn erzeugen würden, da sich ihr Umfang durch kleine, getrennt marschierende Gruppen leicht verschleiern ließ und die große Masse der beteiligten Einheiten einschließlich ihrer Unterführer erst im letzten Augenblick über das wahre Kampfziel aufgeklärt zu werden brauchte.

 

Bis dahin durften die Krieger nicht wissen, worum es eigentlich ging. Versammlungsort wäre wohl das ihnen allen bekannte gemeinsame Heiligtum “Teutoburg” gewesen. Die “Teutoburg”, von TACITUS im Zusammenhang mit dem “Teutoburgiensis saltus” (Teutoburger Wald) genannt, war vermutlich ein inmitten eines großen Waldgebietes gelegenes, befestigtes zentrales Kultheiligtum einer Kultgemeinschaft der angrenzenden Cherusker, Brukterer, Marser und vielleicht auch der Chatten, wo diese sich zu bestimmten jahreszeitlichen Festen, zum Beispiel ihrem herbstlichen Erntedank, friedlich – aber stets in Waffen – zu versammeln pflegten. Rom tolerierte in der Regel das religiöse Brauchtum unterworfener oder verbündeter Völker (vgl. CASSIUS DIO, S. 49). Die als Teutoburg bezeichnete Örtlichkeit ist von TACITUS topographisch-geographisch nicht genauer beschrieben; als germanisches Kultheiligtum könnten aber ohne weiteres die im Herzen des Cheruskerlandes liegenden Externsteine in Frage kommen. Zudem läßt ihre Lage nahe dem wahrscheinlichsten Rückmarschweg der VARUS-Legionen diesen Platz als Versammlungsort der ARMINIUS-Streitkräfte als besonders geeignet erscheinen.

 

Den ungefähren Termin, wann VARUS sein “Lager an der Weser” verlassen würde, und den beabsichtigten Marschweg zum Rhein wird ARMINIUS rechtzeitig gewußt haben. Jedenfalls mußte dieser Abmarsch vor Einbruch der kalten Jahreszeit erfolgen, also etwa Mitte September bis Mitte Oktober.

 

Das war günstig. Dann war die Ernte bereits eingebracht, und der cheruskische Heerbann und die Bundesgenossen standen voll zur Verfügung. Auch war die Verpflegung gesichert. Alle militärischen Vorbereitungen, wie die Vervollkommnung der Ausrüstung oder die Anlage von Hinterhalten, sollten bis dahin abgeschlossen sein.

 

So lange mußte ARMINIUS sein gefährliches Doppelspiel vor VARUS betreiben. Nur ein Mann mit solch eisernen Nerven, unglaublicher Kaltblütigkeit und hoher Intelligenz konnte bis allen dabei möglichen Unwägbarkeiten und unerwarteten Zufällen zugleich auch noch die Fäden der Verschwörung fest im Griff halten und die Schlacht organisieren.

 

In der Rechnung des ARMINIUS gab es aber noch eine weitere, sehr gefahrenträchtige Schwachstelle.

 

Der Überfall konnte nur glücken, wenn der Heerwurm sich einerseits so weit vom Aufbruchsort entfernt hatte, daß ein Rückzug ins feste Lager nicht mehr möglich war, und andererseits mußte der Angriff noch weit genug vor Erreichen des nächsten Standlagers und vor allem in einem so schwierigen Gelände erfolgen, daß sich die Legionen nicht zu ihrer überlegenen Schlachtformation entfalten konnten. Aber ARMINIUS traf auch hier rechtzeitig Vorsorge.

 

Schon vor dem Ausmarsch gelang es ihm, durch falsche Gerüchte und falsche Boten einen angeblichen “Aufstand eines entfernten Stammes” zu fingieren oder zu inszenieren.

 

Um welchen Stamm es sich handelte, ist nicht überliefert. Der Fall wurde dem VARUS als so gefährlich dargestellt, daß dieser die Angelegenheit im Zuge des Rückmarsches gleichzeitig als eine Demonstration der Macht und Stärke des Imperiums erledigen wollte. Er dachte wohl, daß allein schon die Präsenz einer so großen Streitmacht und das harte Durchgreifen von ein paar Kohorten genügen würde, die Lage rasch zu bereinigen und die unbotmäßige Bevölkerung gehörig einzuschüchtern. Das bedeutete aber, daß er die festen und gesicherten Wege der Ost-West-Route verlassen und sich auf ungewissen Pfaden ins Gebiet der “Rebellen” begeben mußte; genau in jene Gegend, wohin ihn ARMINIUS haben wollte und wo er seine leichten Truppen den unbeweglichen und schwer bepackten Legionären überlegen waren.

 

Vielleicht hatte ARMINIUS, um VARUS in seinem Entschluß noch zu bestärken, diesen veranlaßt, eine Aufklärungsabteilung in das angebliche Krisengebiet zu schicken. Diese kam dann entweder nie an, oder sie erlitt beim Zusammentreffen mit “Rebellen” Verluste und berichtete so als glaubwürdiger Augenzeuge von tatsächlichen Unruhen. In jedem Falle wäre hierdurch die Hauptmacht schon vor Beginn der eigentlichen Kämpfe geschwächt worden.

 

Ließ sich VARUS tatsächlich zu jener Marschänderung verleiten, tappte er damit in die von ARMINIUS listig gestellte Falle, die ihm und seinen Legionen den Tod bringen sollte. Dieser erste Täuschungserfolg würde zugleich auch die beste Voraussetzung für die Lösung des allergrößten Problems ARMINs schaffen: die örtliche und zeitliche Zusammenführung seiner Bundesgenossen in Waffen (!) zur Niederschlagung der angeblichen “Revolte”!

 

Gelangen beide Täuschungen wie geplant, würde er damit schon im Vorfeld der Schlacht einen ganz entscheidenden Doppelsieg zu ihrem Gelingen erzielt haben; denn das Eintreffen bewaffneter germanischer Trupps in der Nähe der Teutoburg konnte als durchaus glaubwürdige, ganz normale militärische “Einberufung des cheruskischen Hilfskorps zur Unterstützung der Strafaktion des Varus gesehen werden. Längst galten den Römern – immerhin schon mindestens 13 Jahre im Cheruskerland anwesend – germanische Auxilien, zu garnisonsnahem Wachdienst oder auswärtigen Kriegszügen, als üblich. Es gab daher auch keinen Anlaß zu römischer Besorgnis – ein echter Glücksfall für ARMINIUS. Nun brauchten die eintreffenden Verbände nur noch von eingeweihten Führern informiert, in ihre Kampfabschnitte eingewiesen zu werden und in ihren getarnten Stellungen auf die Römer zu warten.

 

Die außerordentlich hohe Bedeutung der Teutoburg bei den Germanen in einem heiligen, autonomen Bezirk beachteten auch die Römer. VARUS selbst, der kein Interesse haben konnte, unbequeme Unruhen zu provozieren, hatte – vielleicht auf den dringenden Rat ARMINs hin – das Betreten dieser Region durch einen strengen Befehl an seine Unterführer bei Strafe verboten. (3) Es liegt nahe, sich vorzustellen, daß sich der listenreiche ARMINIUS auch die römische Toleranz gegenüber ungehinderter Ausübung religiösen Brauchtums ohne Skrupel für seinen Plan zunutze gemacht hat. Denn so konnte er ganz legal das Zusammenströmen großer bewaffneter Germanenscharen unter dem Deckmantel eines “Kultfestes” im heiligen “Götterwald” der Teutoburg inszenieren, jahreszeitlich exakt auf dem Abmarschtermin der Legionen abgestimmt.

 

(3) VELLEIUS PATERCULUS, Historia Romana, II/119,2)

 

Der Vorabend

 

Die größte Gefährdung der Verschwörung, ihre vorzeitige Entdeckung, trat schließlich doch in letzter Sekunde ein, und zwar am Vorabend des Rückmarsches in die Quartiere am Rhein. Und die Entdeckung kam, wie so oft in der Geschichte der Völker, durch Verrat zustande, und hier ausgerechnet durch den Schwiegervater des Anführers der Verschwörer, den fanatischen Römerfreund SEGESTES.

 

SEGESTES hatte das Spiel seines verhaßten Schwiegersohnes durchschaut und wollte ARMINIUS bloßstellen und vernichten. Offen erklärte er VARUS während des letzten gemeinsamen Gastmahls, was er über den gegen ihn geplanten Anschlag wußte oder ahnte.

 

Um seinen beschwörenden Worten mehr Nachdruck und Glaubhaftigkeit zu verleihen, pochte er auf seinen Titel “Freund des römischen Volkes” und schlug allen Ernstes vor, ihn selbst zusammen mit ARMINIUS in Schutzhaft zu nehmen, ja sogar in Fesseln zu legen. Ohne seine Führer würde das Volk nichts wagen, und er, VARUS, könne dann entscheiden, wer schuldig oder unschuldig sei. Der Römer hat dem warnenden Verräter für seinen wohlmeinenden Rat zwar gedankt, aber (ernst genommen) ernstgenommen hat er ihn nicht. Warum er nichts unternahm, bleibt Vermutung. Vielleicht war ihm der von sich eingenommene, sture Hüne einfach nicht so sympathisch wie der geschmeidige ARMINIUS. Möglicherweise hatte ARMINIUS früher schon dem VARUS von dem Brautraub und dem großen Haß des SEGESTES gegen ihn ausführlich und vorsorglich berichtet. So mag VARUS jetzt alles als bloßer Ausfluß von Haß und Neid erschienen sein.

 

In diesem Augenblick, da ARMINs Kopf fast in der Schlinge steckte und sein ganzes Vorhaben an einem Faden hing, wurde im wahrsten Sinne des Wortes Weltgeschichte entschieden. Ein einziges Wort des VARUS, der Ruf “Wache!”, hätte genügt, die Befreiung Germaniens zunächst und vielleicht für immer zu verhindern. Doch dieser Befehl wurde nicht gegeben. Von solchen “Kleinigkeiten” hängen in der Geschichte oft Entwicklungen von größter Tragweite ab.

 

Nach der Warnung des SEGESTES wäre zu erwarten gewesen, daß VARUS, der Jurist, die Anklage nicht einfach als üblen Diffamierungsversuch des SEGESTES vom Tisch wischte, selbst wenn sie sich gegen seinen besten Vertrauten richtete, die beiden noch an seiner Tafel sitzend einem Verhör unterzog und der Sache nachgegangen wäre. Offenbar konnte ARMINIUS aber doch fest darauf bauen, das uneingeschränkte Vertrauen des Varus zu besitzen, und sich in der Annahme sicher sein, daß dieser nichts gegen ihn unternehmen werde. Er kannte ihn sicherlich besser als SEGESTES. VARUS mußte wissen, daß sich die beiden haßten und aus dem Wege gingen. Eifersüchteleien, Neid, Mißgunst und ständige Streitigkeiten unter germanischen Adligen waren ihm zur Genüge bekannt. Er fand sie normal. Oft genug nutzte er ihre Zwietracht im Sinne des Divide et impera! für seine Interessen und spielte sie gegeneinander aus. So wird er die beherrschte Ruhe ARMINs und die zornbebende Hilflosigkeit des Alten interessiert beobachtet und sich sein Bild gemacht haben. Er soll sogar - wie berichtet wird – dem SEGESTES scharfe Vorwürfe gemacht haben, daß er sich grundlos aufrege und ARMINIUS verleumde. Wie es denn auch gewesen sein mag, ARMINIUS muß es gelungen sein, durch sein kaltblütiges Verhalten jeglichen Argwohn zu zerstreuen.

 

VARUS kannte Arminius nun schon über zwei Jahre. Er wußte, daß dieser von Jugend an römisch erzogen worden war. Seine Eltern und engsten Verwandten waren Freunde seines Freundes TIBERIUS gewesen. Er war römischer Offizier und Ritter, in römischen Feldzügen ehrenvoll ausgezeichnet wie sein Bruder FLAVUS. Sein Schwager SEGIMUNDUS bekleidete einen hohen Priesterrang in Köln. Seine Zuverlässigkeit hatte ARMINIUS zudem als einen der fähigsten Stabsmitglieder unzählige Male bewiesen. Für VARUS war ARMINIUS unantastbar.

 

Zu einer weiteren Anklage kam es nicht mehr, der Aufbruch stand unmittelbar bevor, die Zeit drängte.

 

ARMINIUS blieb, bis die Tafel aufgehoben wurde, trank auf das Wohl des Feldherrn und verabschiedete sich. Benutzten beide womöglich die wunderbaren Becher aus dem sogenannten Silberschatz des VARUS? Und hatte der Cherusker jenem zu guter Letzt den üblichen römischen Trinkspruch zugerufen: “Bibe multos annos!” (Trinke noch viele Jahre daraus!”)?

 

Und wo blieb SEGESTES? Er muß sich wütend und tief enttäuscht auf seine Burg zurückgezogen haben. Auf römischer Seite kämpfte er nicht, gegen die allgemeine Volksstimmung vermochte er nichts auszurichten. TACITUS berichtet, ARMINIUS habe ihn später verhaften lassen, um sich vor seinen Anschlägen zu schützen.