Arminius the Liberator

 

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FAQs

 

 

Varus

 

Publius Quinctilius VARUS wurde im Jahre - 47 als Sohn einer angesehenen Adelsfamilie geboren. Nach juristischen Studien heiratete er Claudia, eine Nichte des AUGUSTUS. Die Einheirat in die Familie des Kaiserhauses ebnete ihm den Weg zu einer hervorragenden politischen Karriere. Er durchlief alle hochrangigen Stellungen eines Mannes seiner Gesellschaftsschicht. Im Jahre – 22 war er mit 25 Jahren bereits Quästor in Achaia, neun Jahre später, im Alter von 34 Jahren, wurde er Konsul, im Jahre 6 oder 7 Prokonsul und Verwalter der römischen Provinz Afrika. In dieser Zeit gab es aus der Stadt Achulla Münzen mit einem Bildnis – ein Privileg, das eigentlich nur dem Kaiser zukam. Diesem Umstand verdanken wir es, daß wir uns eine ungefähre Vorstellung von seinem damaligen Aussehen machen können. Die ihm wohl ziemlich ähnliche Abbildung zeigt ihn etwa 40jährig mit kurzgeschnittenem Stirn- und Haupthaar, sehr starken Brauen über streng blickenden Augen, einer markanten Nase, vollen Lippen und besonders starkem Hals und Nacken, äußere Zeichen des Typus eines Machtmenschen wie eines Genießers. Varus muß ein ausgeprägtes Gespür für Geld und Geldgeschäfte gehabt haben. So besaß er in Gallien mehrere große Landgüter, von denen ein einziges jährlich 400,000 Sesterzen abwarf (etwa 60,000 Goldmark). Als kaiserlicher Statthalter mit einem Heer von 5 Legionen, dazu zwölf Liktoren, betrug sein Gehalt eine Million Sesterzen. Zum Vergleich: Der einfache Legionär hatte einen Jahressold von 900 Sesterzen. Im Jahre – 4 wurde er kaiserlicher Statthalter in Syrien, wo er sich offenbar noch einmal gewaltig bereichert haben muß, denn es hieß von ihm: “Arm kam er in ein reiches Land, reich verließ er ein armes Land.”

 

Im selben Jahr, nach dem Tod des Königs Herodes, führte er mit großer Härte etliche Strafexpeditionen gegen rebellierende Juden in Palästina durch. Bei Ausbruch des pannonischen Aufstandes im Jahre 6 übertrug ihm AUGUSTUS das hochwichtige Kommando des Prokonsuls über Germanien am Rhein und über ganz Gallien. Eine solch hohe und einflußreiche Stellung verdankte er nicht nur der Verwandtschaft mit dem Kaiser, mit dem er befreundet war, er schien - auch wegen seines despotischen Wesens und für hartes Durchgreifen bekannt – ganz der richtige Mann für die “germanischen Barbaren” zu sein.

 

Von VELLEIUS PATERCULUS, einem ehemaligen Offizier aus dem Stab des AUGUSTUS-Nachfolgers TIBERIUS, wurde VARUS als ein Mann von ziemlich schläfrigem, phlegmatischem Charakter geschildert, eigentlich friedfertig, körperlich und geistig wenig beweglich, kein soldatischer Führer, schon gar kein Feldherrntalent, eher Lebemann und den Freuden des Genusses mehr zugetan als den Strapazen des Krieges.

 

Das ist eine Schilderung, die zu dem rabiaten Stil, den VARUS bei der Durchsetzung römischer Staatsinteressen gemeinhin an den Tag legte, eigentlich im Gegensatz steht und eine Zwiespältigkeit seines Wesens verrät. Für sein späteres Versagen im Falle ARMINIUS gab der Frontoffizier VELLEIUS dem VARUS die Alleinschuld.

 

Von seinen Soldaten wurde er, der mehr den Typ des “Stubenoffiziers” und Verwaltungsbeamten verkörperte, wegen seiner krummen Beine “Säbelbein” genannt, kein unfreundlicher Spitzname, der sogar auf eine gewisse Beliebtheit schließen läßt.

 

Als gelernter Jurist befaßte er sich vorwiegend mit Rechtsfragen. Mit dieser Tätigkeit ließ sich wohl auch am besten in die eigene Tasche arbeiten. In militärischen Dingen war er seinen kriegserfahrenen Offizieren unterlegen und auf sie angewiesen.

 

Das Ziel römischer Politik war es, “barbarische”, das heißt nichtrömische Völkerschaften zunächst militärisch zu unterwerfen, danach durch zivile Verwaltung unter Kontrolle zu bringen und dann die Bevölkerung zu römischem Denken so umzuerziehen, daß die Unterworfenen schließlich von sich aus die Interessen Roms vertraten. Danach konnte das “befriedete” Gebiet zu einer römischen Provinz gemacht und dem Imperium zugeschlagen werden. In Gallien waren diese Methode und nachfolgende “Romanisierung” nahezu vollständig vollzogen.

 

Rom hatte Erfahrung in diesen Dingen. Es wußte, daß der Besiegte und in erster Linie dessen Führungsschicht nur allzu leicht mit allen Äußerlichkeiten auch die Werteordnung des Siegers übernehmen, wobei die ursprüngliche Abneigung des Siegers in besonderen Fällen sogar in Selbstbezichtigung und Selbsthaß umschlägt. Es wußte auch, daß sich dieser Prozeß durch eine Politik der wechselweisen Anwendung von Bestrafung und Belohnung, oder, wie der Volksmund treffend sagt, “von Zuckerbrot und Peitsche”, fördern läßt.

 

Nachdem ganz Gallien und das linksrheinische Gebiet weitgehend “befriedet” waren, sollte nun auch das rechtsrheinische Germanien, in dem es bereits durch Straßen verbundene Kastelle und Stützpunkte gab, zunächst bis zur Weser und dann bis an die Elbe unter Kontrolle gebracht werden.

 

Zunächst jedoch gab es diese flächendeckende Kontrolle nicht. Sie auszuüben, war die Aufgabe, vor der VARUS stand. Als höchster militärischer und ziviler Befehlshaber für Obergermanien ausgestattet mit weitgehenden Vollmachten, konnte er unabhängig vom Kaiser Krieg führen, Verträge abschließen, die Gerichtsbarkeit ausüben, das Land ins römische Finanzsystem eingliedern, Steuern und Abgaben einziehen und die waffenfähige Mannschaft der eingesessenen Bevölkerung für die imperialen Zwecke Roms einsetzen. Wäre uns ein Plan der Maßnahmen überliefert, nach dem VARUS vorgehen wollte, so hätte er – wie sich aus den Berichten ablesen läßt – folgende Punkte umfaßt:

 

Von Kastellen und Stützpunkten ausgehende militärische Durchdringung der Region.

Einführung der römischen Verwaltung und Rechtsprechung.

Erhebung von Steuern und Naturalabgaben.

Einführung von Fronarbeit.

Einrichtung einer militärisch organisierten Polizeikontrolle.

Mentale Umerziehung der Bevölkerung.

Einrichtung eines geheimen Nachrichtensystems,

Schwere Ahndung von Vergehen gegen römische Hoheitsrechte und Gesetze.

Anwendung von Waffengewalt gegen jede Form von Widerstand.

Die Summe dieser Maßnahmen bedeutete die völlige Entmachtung, Knebelung und Überwachung der germanischen Bevölkerung und den Verlust ihrer Selbstbestimmung.

 

Die Auflösung des eigenen Volkstums, der eigenen Sprache und Kultur sowie die Überstülpung römischer Zivilisation und damit die völlige “Integration” wären gefolgt. Dieses war das erklärte Endziel römischen Sendungsbewußtseins. Als VARUS ins Cheruskerland (1) kam, fühlte er sich völlig sicher. Seit TIBERIUS drei Jahre zuvor die ersten politischen Verhandlungen mit Herzog SIGIMER, ARMINs Vater, geführt hatte, galten die Cherusker als “Freunde des römischen Volkes”. Der erste Schritt zur Unterwerfung war also bereits getan. Die maßgeblichen Mitglieder des cheruskischen Adels, die dabei Hilfestellung geben sollten, waren mit großzügigen Geschenken und wohlklingenden römischen Titeln ausgezeichnet worden und zeigten sich betont romfreundlich. Mehrmals hatten römische Heere ihr Winterlager abgehalten, ein Zeichen für die sicheren und friedlichen Verhältnisse, die hierzulande herrschten.

 

(1) Dies erstreckte sich vom östlichen Westfalen bis an den Harz, an dessen Nord- und Südrand entlang bis zum Kyffhäuser-Gebirge.

 

Wahrscheinlich hielt VARUS, der von seinem früheren Kolonialdienst Meutereien, Attentate und blutige Aufstände gewohnt war, dieses Kommando im Ems-Weser-Raum für eine ziemlich gefahrlose Angelegenheit und rechnete nicht damit, daß seine brutalen Regierungsmethoden auf einen Widerstand stoßen würden, der sich nicht sofort brechen ließ. Für ihn schien der Auftritt klar -, der CAESAR und der Senat hatten ihn, Publius Quinctilius VARUS, für die ehrenvolle Arbeit ausersehen, dieses dem römischen Wesen fremde, noch unberührte Land zu unterwerfen, um es auszubeuten, und gerade hierin besaß er ja genügende Erfahrung. Sein Ehrgeiz ging dahin, sich dieser Aufgabe rasch und gründlich wie nur möglich zu entledigen, wie er es andernorts mit großem Erfolg getan hatte. Diese Barbaren sollten nur erst einmal die Segnungen römischer Gesetze, römischer Ordnung und Zivilisation kennen lernen, dann würden sie schon bald römisch denken und handeln!

 

Von den Germanen wußte er so gut wie nichts. Für ihn waren sie Wesen, die “nur Stimme und Gliedmaßen wie Menschen” hatten. Zumindest bei der Truppe hatte er Berührung mit germanischen Auxiliaroffizieren, er scheint aber über die Belange der dienstlichen Pflichterfüllung hinaus kein Interesse an ihre ursprüngliche Herkunft gewandt zu haben. Nach den Berichten war ihm der germanische Volkscharakter völlig fremd. Er kannte weder die Mentalität der Germanen noch ihre Religion und Ehrbegriffe und beging aus dieser Unkenntnis heraus schwerwiegende psychologische Fehler. Vor allem aber hatte er keine Vorstellung von ihrem unbändigen Freiheitsdrang.

 

Das Volk verhielt sich zunächst weitgehend passiv. Es begegnete den Römern eher mit Gleichgültigkeit denn mit Ablehnung. Je mehr es aber die Auswirkungen der beginnenden “Integration” zu spüren bekam und sich über die wahren Absichten Roms klar wurde, um so widerwilliger beugte es sich dem zunehmenden Druck.

 

Als AUGUSTUS für seinen Balkanfeldzug Geld brauchte, wurden im ganzen Imperium zusätzliche Kriegssteuern erhoben. Die dem VARUS unterstellten Gebiete wurden davon nicht ausgenommen. Diese Steuern – die hier hauptsächlich in Form von Naturalien zu leisten waren – gedachte VARUS mit den gleichen rücksichtslosen Methoden aus der germanischen Bevölkerung herauszupressen, wie er sie vordem in Vorderasien angewandt hatte.

 

Man kann sich kaum vorstellen, wie verbitternd diese von den fremden Eindringlingen aufgezwungene Erhebung von Abgaben auf die freiheitsgewohnten und unabhängigen Menschen in Germanien wirken mußte.

 

Die Germanen lebten in Verbänden, bei denen es dem einzelnen Stammesangehörigen ohne weiteres möglich war, die Verteilung und Verwendung der Güter innerhalb der Sippen und im Rahmen des gesamten Stammes zu übersehen. Folglich war die germanische Bevölkerung – wenn überhaupt – nur freiwillig bereit, Abgaben zu leisten. Die Notwendigkeit einer Verwaltung, die an einem Ende des Imperiums Steuern eintrieb, um sie am anderen Ende zur Führung eines Krieges, der sie nichts anging, zu verwenden, war den Germanen weder denkbar, noch konnte sie ihnen auf der Stelle einsichtig gemacht werden.

 

Plötzlich verlangte man von ihnen, die Requirierung von Lebens- und Futtermitteln für die römische Armee hinzunehmen. Auf einmal hatten sie Beförderungsmittel, wie Wagen und Schiffe, zur Verfügung zu stellen. Sie mußten ihre geliebten Pferde abgeben und hatten sich widerspruchslos zu Fronarbeiten jeder Art ohne Rücksicht auf die eigenen Wirtschaftsnotwendigkeiten selbst während der Ernte verpflichten zu lassen. Bei der oft bedrohlichen Ernährungslage waren das bereits sehr harte Bedingungen. Als besonders unerträglich scheinen sie aber die unbedingte und pünktliche Ablieferungsverpflichtung empfunden haben.

 

Die römische Verwaltung hatte eine lange Liste von einheimischen Produkten und Naturalien aufgestellt, die eingetrieben werden konnten und deren Wert nach Rom oder in die Taschen römischer Beamter fließen sollte – VARUS nicht ausgenommen. Nach den überlieferten Berichten handelte es sich um Pelze, Felle und Leder, Daunenfedern, Wolle, Seife, (2) Frauenhaar für die Perückenmacher in Rom, (3) Geflügel, Schafe, Schweine, Rindvieh, Wildbret, Holz, Wachs für Bronzeguß, Pech für Fackeln und Schiffbau, Hafer, Gerste, Roggen, Weizen, Flachs, Hanf, Heu, Salz und Honig, um nur die wichtigsten Dinge zu nennen.

 

VARUS, dem vermutlich nicht zu Unrecht Überheblichkeit und Arroganz nachgesagt wurden, scheint geglaubt zu haben, den Germanen mit den Mitteln kolonialer Zwangsherrschaft wie bereits Besiegte behandeln zu können, ganz so, wie er das mit den an Tyrannei gewöhnten Völkerschaften in Afrika und im Orient getan hatte – nicht ohne dabei selbst gut verdient zu haben. Er scheint gedacht zu haben, daß man “Barbaren” durch Gesetze und harte Strafmaßnahmen beugen und notfalls durch Waffengewalt zwingen müsse, denn ihre Aufsässigkeit war seiner Meinung nach nur die Folge von großzügiger und milder Behandlung. Er war davon überzeugt, daß sie darin nur Schwäche erblicken würden. “Einen Wolf kann man nicht nur mit Himbeeren füttern.”

 

(2) Seipu, eine keltisch-germanische Erfindung, ein Gemisch aus feinster Buchenasche und Ziegenfett.

 

(3) Blond und Rot war bei den Damen der römischen Oberschicht groß in Mode.

 

Sein entscheidender Fehler aber war, daß er wohl aus übertriebenem Ehrgeiz heraus die ohnehin unpopulären Maßnahmen viel zu überhastet durchführte. Er ist niemals zu einem behutsamen, allmählichen Vorgehen fähig gewesen, das eher im Interesse Roms gelegen und im Laufe der Zeit eine gewisse Angleichung ermöglicht hätte.

 

VARUS war als Hoheitsträger Roms vornehmlich auch oberster Richter, und dazu gehörte die schnellrichterliche Gewalt. Verbunden mit seiner militärischen Machtbefugnis, die er als Feldherr besaß, barg diese Art von Justiz alle Möglichkeiten von Gewalt, Willkür und Grausamkeit. Die Auslegung dieser Befugnis war dehnbar und lag ganz im persönlichen Ermessen des Statthalters. Man muß dazu wissen, daß nach römischem Recht allein der Richterspruch galt und unanfechtbar war. Bei den Germanen gab es hingegen eine sogenannte “Rechtsgemeinde”, die in öffentlicher Versammlung über den Beschuldigten Recht sprach. Gegenüber dem römischen Verfahren, das auf ein weit höher formalisiertes Recht abgestellt war, ist das eine eher “basisdemokratische” Einrichtung, wie man heute sagen würde, die jedenfalls Fehlurteile aus persönlicher Willkür heraus weitgehend unmöglich machte.

 

VARUS, der hochgebildete Formaljurist, begriff überhaupt nicht, wie die Germanen das römische Recht – ob es wirklich das beste der ganzen Welt war, sei dahingestellt – für sich nicht als bindend ansehen konnten und die römische Justiz als “grausamer als Waffen” hielten. (4) Der Strafvollzug römischer Justiz war für die Eingeborenen völlig neu. Mit den leichteren Strafen, die von Bußen an ihrem Besitz bis zu Haft in Ketten oder Sitzen im Block reichten, hätten sie sich vielleicht noch abgefunden. Aber schon der nächste Grad, das Stockprügeln, das bereits bei unpünktlicher oder unvollständiger Ablieferung von Naturaltributen verhängt werden konnte, stellte für sie nicht nur eine grausame, sondern vor allem ehrenrührige Bestrafung dar. Als noch unerträglicher empfanden sie das Foltern, das schon bei bloßem Verdacht der Täuschung angewandt wurde, und das grausame Finger- oder Händeabhacken. Am Ende standen die Todesstrafen- das Totpeitschen, das Köpfen und das Henken. Die schwerste Strafe schließlich, die Rom kannte, das Kreuzigen, war mit der Wesensart der Germanen völlig unvereinbar.

 

(4) Nach dem römischen Autoren FLORUS.

 

Nach römischem Recht lag der Vollzug der schweren Strafen – traditionell durch Ruten und das Beil – in der Hand von Liktoren, die die faszes (5) als äußeres Zeichen ihrer Gewalt mit sich führten. Die 12 Liktoren, die VARUS als Konsul zustanden, wurden so zwangsläufig zum äußeren Symbol der Zwangs- und Strafgewalt.

 

(5) Rutenbündel mit Beilen

 

Wohl die größte Fehlbeurteilung der germanischen Verhältnisse durch VARUS lag in seiner Überzeugung, daß man den “Barbaren” um so eher Ehrfurcht und Achtung vor Rom einflößen könne, je mehr man sie schlage und demütige. Zu dieser Fehlbeurteilung mögen die Erfahrungen beigetragen haben, die er unter ganz anderen Verhältnissen in Afrika und Syrien gemacht hatte. Bei den Germanen erreichte er damit gerade das Gegenteil, er weckte ihren Widerstand. Mag VARUS anfangs mit seinem abfälligen Urteil gar nicht so Unrecht gehabt haben, daß sie schwerfällig und träge, ohne Ausdauer in der Verfolgung ihrer Ziele und untereinander uneins seien – ihre Tugenden hat er nicht sehen können oder wollen. So entging ihm das allmähliche Anwachsen von Zorn und Wut und das Aufstauen von einem wilden Haß “gegen alles, was die Toga trug”, der sich irgendwann gewaltsam Luft verschaffen mußte.

 

Schon die römischen Schriftsteller stellen sich die Frage, wie es zu der an sich ungeheuerlichen Täuschung durch ARMINIUS kommen konnte, der VARUS zweifellos erlegen ist. In allen Berichten tritt uns VARUS als mißtrauischer, gerissener und mit allen Wassern gewaschener, ausnehmend geschäftstüchtiger Politiker entgegen, der über langjährige Erfahrung im Staatsdienst verfügte. So wird es weniger eine kaum glaubhafte Leichtgläubigkeit gewesen sein, die ihm zum Verhängnis wurde, sondern doch wohl eher die überhebliche Verachtung, die er Germanen entgegenbrachte. Einen Aufstand wie den in Pannonien hielt er schlichtweg für nicht möglich. Die Zwietracht der Germanen, mit der er rechnete, mußte Verräter hervorbringen, und Verrat war das sicherste Mittel, um jeden Aufruhr im Keim zu ersticken. Es war der kleine, niederträchtige Verrat, auf den er baute; daß ihn aber ein Mann wie ARMINIUS um eines großen Zieles wegen täuschen könnte, das muß sich seinem Vorstellungsvermögen entzogen haben.

 

Dem ARMINIUS vertraute er, obwohl er einem Germanen im allgemeinen wenig Sympathie entgegenbrachte. VARUS hat große Stücke auf ihn gehalten und in ihm weniger den jungen Cheruskerherzog als den römisch erzogenen und römisch gebildeten Hilfstruppen-Kommandeur gesehen, der ihm als römischer Ritter gesellschaftlich ebenbürtig war. Er unterhielt sich mit ihm in fließendem Latein, ihm fiel sein Scharfsinn auf, und er hatte von der Kühnheit gehört, durch die sich ARMINIUS in zahlreichen römischen Feldzügen als Offizier ausgezeichnet hatte. Der Bruder FLAVUS diente gleichfalls im römischen Heer; SEGIMUND, der Schwager, bekleidete ein hohes römisches Priesteramt in Köln, und seine übrige Familie und viele aus seiner Verwandtschaft sympathisierten offen mit Rom. ARMINIUS selbst galt bei seinen Landsleuten als “Römling”. Es gab keinen Grund für VARUS, ihn nicht für völlig romtreu zu halten. Das gute Einvernehmen wird sich nicht zuletzt auf die kameradschaftlichen Bindungen zwischen VARUS und seinem Offizierskorps zurückgeführt haben, die man bei Wein und gemeinsamem Gelage pflegte.

 

Darüber hinaus muß der Cherusker im Stab des VARUS als Kenner germanischer Verhältnisse und hilfsbereiter, mit einem ungewöhnlichen Organisationstalent begabter Ratgeber unentbehrlich gewesen sein. Die Besteuerungsgrundlagen mußten ermittelt, den amtlichen Anordnungen bis in die letzte Siedlung und das letzte Einzelgehöft des Wald- und Berglandes hinein Geltung verschafft werden. Es ist durchaus vorstellbar, daß ARMINIUS sowohl am Aufbau der dazu erforderlichen römischen Verwaltungen mitgewirkt hat als auch maßgeblich an den Verwaltungshandlungen selbst, vielleicht hat er sie sogar geleitet. VARUS konnte absolut sicher sein, daß sie exakt und mit aller Härte durchgeführt wurden. So mag ARMINIUS bei Teilen der Bevölkerung zeitweise noch verhaßter gewesen sein als VARUS.

 

VARUS nahm wohl an, daß ARMINIUS seinen Vorteil suchte wie er selbst, und setzte sein volles Vertrauen in ihn. Das war schließlich so groß, daß er selbst von den schweren Anschuldigungen des SEGESTES nicht erschüttert werden konnte. Dieses feste Vertrauen ist die erste Voraussetzung für das Gelingen des von ARMINIUS insgeheim entwickelten und von SEGESTES fast noch verratenen Planes, der mit dem Aufbruch der römischen Truppen ins Winterlager am Rhein seinen Ausgang nimmt und mit der Finte vom “Aufstand eines entfernten Volksstammes”, die VARUS von der gesicherten Heerstraße hinweg ins unwegsame Gelände lockt, sichtbare Gestalt anzunehmen beginnt. Nicht lange, und die Armee wird von einem haßerfüllten, wilden Feind, der nirgends zu fassen ist, zerkeilt und rettungslos eingekreist. Die eigenen germanischen Hilfskontingente, an deren Spitze sich Arminius gesetzt hat, fallen über die Legionen her.

 

Die Katastrophe treibt auf die vollständige Vernichtung seiner gesamten Streitmacht zu. Der tief enttäuschte VARUS erkennt die Hoffnungslosigkeit seiner Lage und weiß, daß er versagt hat. Daß er – so VELLEIUS – “mehr Mut zum Sterben, als zum Kämpfen” hatte, zeigt seine tiefe Depression. Er ist noch soviel Offizier, daß er sich selbst den Tod gibt – nach altem römischen Soldatenbrauch stürzt er sich in sein Schwert. Als er stirbt, ist er 56 Jahre alt.

 

Noch bevor die letzten Lagerbefestigungen fallen, versuchen einige treue Diener und die wenigen Überlebenden der Leibgarde, den Toten zu verbrennen. Er darf nicht in die Hände der Barbaren fallen, die den Leichnam des toten Feldherrn unter Hohn und Spott schänden würden. Der Regen verhindert es, und sie verscharren die Leiche nur flüchtig. Nach der Erstürmung des Lagers und dem Erlöschen des letzten Widerstandes finden die Germanen den halbverbrannten Körper und graben ihn aus.

 

ARMINIUS läßt VARUS den Kopf abschlagen und schickt Boten ab, die diese Trophäe König MARBOD überbringen, wohl um ihm zu sagen, daß es nun an der Zeit ist, sich zu vereinen und gemeinsam gegen die Römer loszuschlagen.

 

König MARBOD achtet dessen nicht und sendet das VARUS-Haupt unverzüglich an Kaiser AUGUSTUS nach Rom. Er kann damit nur zeigen wollen, daß er sich außerhalb des Konfliktes hält und bemüht ist, seine Loyalität gegen Rom zu wahren.

 

Wir wissen nicht, wie Rom sich daraufhin verhalten hat, aber mehr als kühl wird die Reaktion nicht gewesen sein. Rom, dem die ganze Angelegenheit äußerst peinlich war, hatte inzwischen in VARUS den Prügelknaben gefunden, der an allem schuld war. Einst eine persona grata, wurde er zur Unperson und in der Öffentlichkeit totgeschwiegen – richtete sich die allgemeine Kritik an VARUS doch insgeheim auch gegen AUGUSTUS, der den ungeeigneten Mann in dieses wichtige Amt gehoben hatte. Er war nicht die erste und blieb nicht die letzte erfolglose geschichtliche Gestalt, die man in aller Heimlichkeit in der Versenkung des Tabus verschwinden lassen wollte…

 

Man vermutet, daß das Haupt des VARUS ohne große Begräbnisfeier und in aller Stille im varianischen Familiengrab beigesetzt wurde.

 

Mag das Urteil über die staatspolitische Klugheit des VARUS auch vernichtend ausfallen, als römischer Offizier hat er am Ende Beherrschung und Größe gezeigt. Daß ihm zum Schluß die nötige Härte und Erfahrung fehlt, die einen Soldaten wie General CAECINA in aussichtslosen Lagen auszeichnete und einen Ausweg finden läßt, kann man ihm nicht vorwerfen. Seine Haltung in der Schlacht, die ihn richtige und energische Maßnahmen ergreifen läßt, verdient Anerkennung. Als er sich in sein Schwert stürzt, ist er bereits schwer verwundet und muß den Tod im Kampf gesucht haben. Er stirbt als ein Römer.