Arminius the Liberator

 

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FAQs

 

 

Segestes

 

Neben der Familie des SIGIMER, des Vaters von ARMINIUS, ist der Edeling SEGESTES Oberhaupt einer der einflußreichsten Adelsfamilien des Cheruskerstammes. Beide Familien sind anfangs romfreundlich eingestellt, wurden sie doch ganz bewußt von Rom gefördert.

 

Auch dem SEGESTES war seinerzeit von AUGUSTUS wie SIGIMER und ARMINIUS das römische Bürgerrecht verliehen worden, und er rechnete es sich zur besonderen Ehre an, in fester Bündnistreue zu Rom zu stehen. Sein noch jugendlicher Sohn SEGIMUND bekleidete ein hohes Priesteramt am AUGUSTUS-Tempel im linksrheinischen Köln, eine besondere Auszeichnung für eine germanische Familie. Mit solchen Herausstellungen erreichte Rom zwei Dinge: Zum einen band es die Vertreter der germanischen Führungsschichten fest an sich, um auf diese Weise römischer Politik durch einheimische Kräfte leichteren Eingang in Germanien zu verschaffen – zum anderen hatten sie jene gewissermaßen als Geiseln in der Hand.

 

SEGESTES wird uns vom römischen Historiker TACITUS als eine imponierende, hünenhafte Persönlichkeit geschildert, hochgebildet, ein Mann, der dem römischen Volk überaus zugetan sei, von seltener Treue, Redlichkeit und Maßhaltung. Wahrscheinlich beherrschte er die lateinische Sprache.

 

Zu ARMINIUS, den er seit dessen Jugend kennt, der sich als römischer Präfekt unter TIBERIUS bei dessen Feldzügen ausgezeichnet hat, wird er zunächst in einem freundschaftlichen Verhältnis gestanden haben. Vielleicht hat er die enge Beziehung des jungen Offiziers zu seiner schönen Tochter THUSNELDA sogar mit Wohlwollen geduldet. Erst später, als sich politische Unterschiede zwischen den beiden Männern einstellen – ARMINIUS wird ihm gegenüber wohl kaum mit harter Kritik an VARUS zurückgehalten haben -, ändert sich die Stimmung und schlägt in Feindschaft um.

 

SEGESTES betont immer wieder – trotz der offensichtlichen Fehler des römischen Regimes – aus voller innerer Überzeugung die Vorzüge römischer Kultur und Zivilisation, die man annehmen müsse. Er sei ein Verfechter des Friedens und fühle sich als ein Vermittler zwischen beiden Völkern. Rom sei nun einmal die Macht, der die Zukunft gehöre, ihr habe man sich um des Friedens willen zu beugen. Da die Germanenstämme stets untereinander zerstritten waren, würden sie unter dem straffen Regiment des weltumspannenden Imperiums zum Friedenhalten gezwungen, was im benachbarten Gallien mit Erfolg geschehen sei. Da mag ihm ARMINIUS heftig widersprochen und an die für immer verlorene Freiheit des einst unabhängigen gallischen Volkes erinnert haben und an die Ströme von Blut, die ausgerechnet die “Befrieder” verursacht hätten, um jene zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen.

 

SEGESTES seinerseits wird erwidert haben, dies sei allein Schuld des VERCINGETORIX gewesen, weil er sich nicht sofort freiwillig mit seinem Volk unterworfen habe. Jeglicher Widerstand gegen Rom sei – wie man gesehen habe – völlig aussichtslos und hochgefährlich.

 

Mit solcher Einstellung ist SEGESTES in den Augen der antirömischen Partei nichts weiter als ein Kollaborateur und Opportunist, der sich mit Hilfe der Römer über seine eigenen Landsleute erheben möchte. Möglicherweise strebte er auch nach dem Tode SIGIMERs, wie INGOMER, nach der Herzogswürde von Roms Gnaden. Nun aber steht ihm dessen Sohn ARMINIUS, der junge, erfolgreiche Führer der Gegenpartei, der auf Konfrontation setzt, im Wege.

 

Als jener nun noch vollends die Kühnheit besitzt, seine Tochter, die er inzwischen einem ihm genehmen Schwiegersohn zugedacht hatte, kurzerhand zu rauben und zu seiner Frau zu machen, kommt zum politischen Gegensatz noch persönlicher Haß hinzu. Dieser muß so abgrundtief gewesen sein, daß SEGESTES in offener Feindschaft gegen ARMINIUS zum Verräter der Freiheitsbewegung wird. Dabei geht er sogar so weit, daß er noch am Vorabend des Tages, an dem VARUS mit seinen Legionen zum Rhein marschieren will, diesen in aller Eindringlichkeit vor dem Plan des ARMINIUS warnt. Der Verrat findet allerdings beim Statthalter weder Gehör, noch wird er ernst genommen.

 

So könnte VARUS dem SEGESTES, der ARMINIUS aufs schwerste belastet und der auf sein römisches Bürgerrecht pocht, um mehr Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei VARUS zu erreichen, etwa geantwortet haben: “Du bemißt das Vertrauen nach dem Verdienst – das Vertrauen zu Arminius ist ein persönliches und steht darum bei mir weit höher in Kurs!”

 

Hier zeigt sich SEGESTES als Mann von kaum faßbarer Kompromißlosigkeit: Seine feste politische Überzeugung, seine Freundschaft zu Rom und seinen persönlichen Haß stellt er ohne Skrupel sogar über Familien- und Sippenbande, ja sogar über die Bindung zu seinem Vaterland und den eigenen Volksverband! Allein dieser eine Fall zeigt, mit welch ungeheuren inneren Schwierigkeiten ARMINIUS zu kämpfen hatte und an welch dünnem Faden sein mehr als verwegener Plan hing.

 

Die Einmütigkeit der Cherusker im Widerstand gegen Rom macht es SEGESTES zunächst unmöglich, sich ganz aus dem Krieg herauszuhalten. Dazu sind seine Sippen- und Stammesbindungen zu stark. Dem Druck der Öffentlichkeit kann er sich kaum entziehen, zumal sein Sohn SEGIMUND – begeistert von Arminius – sein priesterliches Amt in Köln spontan verläßt und sich der Freiheitsbewegung gegen VARUS anschließt.

 

Während der Kämpfe verhält er sich passiv, wohl eine doppelte Taktik verfolgend: Im Falle des Scheiterns von ARMINs Unternehmen will er nicht als sein Komplize – im Falle seines Sieges nicht als Abtrünniger gelten. So ist bekannt, daß auch er wertvolle Beutestücke, die nach der VARUS-Schlacht an die einzelnen Stammesfürsten verteilt worden waren, angenommen hat, denn während der GERMANICUS-Kriege liefert er diese wieder an die Römer aus. Nach dem Sieg über VARUS hat sich seine Haltung gegenüber ARMINIUS nicht im geringsten geändert, obwohl ARMINs entschlossenes Handeln und vor allem dessen großer Erfolg dies geradezu verlangt hätten. Im Gegenteil – der alte Haß aus politischem und persönlichem Zerwürfnis muß derart wieder aufgeflammt sein, daß es im Verlauf der nächsten Jahre öfters zu Handgreiflichkeiten und regelrechten Fehden zwischen den beiden kommt.

 

So läßt ARMINIUS SEGESTES kurzerhand von seinen Leuten festnehmen, in Ketten legen und für eine Zeitlang gefangen halten, wohl, um vor den bisherigen Römlingen ein Exempel zu statuieren und um zu zeigen, daß er jetzt das Sagen habe. Im Gegenzug versucht SEGESTES seinerseits, des verhaßten Schwiegersohns habhaft zu werden. Häufig kommt es zu Gewalttaten unter den Gefolgsleuten beider Seiten, die nie unblutig ausgehen. Im Verlauf der Kämpfe mit GERMANICUS, während sich ARMINIUS mit der Nordarmee CAECINAs schlägt und dadurch gebunden ist, benutzt SEGESTES den römischen Überfall, um sich seiner Tochter THUSNELDA als Faustpfand gewaltsam zu bemächtigen. Es gelingt ihm, sie auf seine Burg zurückzuholen und auch seinen Sohn SEGIMUND auf seine Seite zu ziehen. Diesen plagen jetzt Schuldgefühle, wo der Feind wieder im Land steht, und er muß darauf bedacht sein, auf römische Milde zu hoffen. SEGESTES, der nach wie vor dem Freiheitskampf fernsteht und bei der Masse der Cherusker und der Bundesgenossen als sturer Römerknecht überall im Lande angefeindet wird, muß um sein Leben fürchten; ihm bleibt nur das Refugium auf seiner Burg. (Es handelt sich wahrscheinlich um die spätere Eresburg auf dem Obermarsberg.)

 

ARMINIUS läßt ihn durch eine Abteilung seiner Leute belagern, vor allem auch, um seine Frau zu befreien. Zu dieser Zeit hält sich GERMANICUS bei den Chatten auf.

 

Im Begriff, wieder an den Rhein zurückzukehren, erreicht diesen eine Gesandtschaft unter Führung des SEGIMUND, der ihn im Auftrag seines Vaters um Hilfe und Entsatz bittet. GERMANICUS ändert sofort seine Marschrichtung, greift die Belagerer an, schlägt sie und befreit SEGESTES samt seiner Anhängerschaft, adelige Cherusker der Rompartei mit ihren Familien, die gleichfalls in der Burg Zuflucht gesucht hatten.

 

Im Verlauf der nun folgenden dramatische Begegnung zwischen dem römischen Feldherrn und SEGESTES, bei der auch seine inzwischen hochschwangere Tochter (sie könnte damals etwa 22 Jahre alt gewesen sein) anwesend ist, beteuert SEGESTES mit äußerst klugen und wohlberechneten, zugleich stolzen Worten seine ungebrochene Treue zu Rom. Diese habe er bekanntlich oft genug bezeugt und brauche sie nicht erneut zu beweisen.

 

Gleichzeitig versucht er, sich vom Ruf der Feindseligkeit gegen sein Vaterland zu reinigen, wohl um sogar vor den Römern nicht als Verräter dazustehen. Sein Handeln beruht auf seiner Erkenntnis, daß Frieden – nicht Krieg – für beide Völker von Nutzen sei. Hierdurch habe er sich den Haß seiner Landsleute zugezogen. Er habe VARUS vor ARMINIUS gewarnt und gegen diesen Klage erhoben. Er habe sogar von VARUS verlangt, ARMINIUS, ihn, SEGESTES selbst und alle Verdächtigen zu verhaften, doch habe jener nicht auf ihn gehört und alles dem persönlichen Zwist und seinem Zorn gegen den Räuber seiner Tochter zugeschoben.

 

SEGESTES geht dann in seinem grenzenlosen Haß so weit, daß er dem Landesfeind GERMANICUS die eigene Tochter und mit ihr das Kind des ARMINIUS, das sie unter dem Herzen trägt, als Beute überläßt, wohl wissend, welch bitteres Schicksal beide als Gefangene zu erwarten haben – eine geradezu unfaßbare Tat von der gleichen selbstzerstörerischen Art wie seinerzeit beim Verrat des ARMINIUS-Planes. Der Haß hat ihn so sehr verblendet, daß er kaltblütig die Tochter und das ungeborene Enkelkind dem Feind überläßt, nur weil sie die Frau des ARMINIUS ist.

 

Hierauf begibt sich Segestes mit seinen Verwandten – darunter auch SEGIMUND – nach Westen unter dem Schutz des GERMANICUS, der ihm einen Wohnsitz auf dem linken Rheinufer – vermutlich in Köln – zuweisen läßt. Damit scheidet SEGESTES mit seiner prorömischen Clique vorerst als größte oppositionelle Gefahr im Rücken des ARMINIUS aus, freilich mit welch großem persönlichen Opfer für ARMINIUS, der Frau und Kind nie wiedersehen wird.

 

Versucht man die Persönlichkeit des SEGESTES zu beurteilen, so gewinnt man den Eindruck, daß sein Charakterbild von einer schier fanatischen Verblendung geprägt ist. Er ist der entschiedenste Verfechter der prorömischen Haltung im Cheruskerland und mit Bestimmtheit der gefährlichste politische und persönliche Widersacher des ARMINIUS. Für ihn gehört der Großmacht Rom die Zukunft, und die Germanen haben dies zu akzeptieren, auch wenn es ihnen nicht paßt und es sie die Identität und Freiheit kostet. Von der Richtigkeit dieser Erkenntnis ehrlich und felsenfest überzeugt, tritt er für sie mit aller Entschiedenheit ein. Sein Treueverhältnis zu Rom, dem er Rang, Titel und natürlich auch gewisse Zuwendungen verdankt, ist ihm heiliger als sein eigenes Volk. Dessen verzweifelten Widerstand gegen die fremden Eindringlinge vermag er nicht zu verstehen, und er bekämpft ihn erbittert, wozu ihm jedes Mittel recht ist – sogar der Verrat an die Besatzermacht.

 

Für die Römer ist er gewiß ein idealer Partner, weil er sich für ihre Politik besonders vorteilhaft gebrauchen läßt, bleibt jedoch sicherlich auch mit dem Ruf allzu devoter Kollaborationsbereitschaft behaftet. Ein Germanenführer, der sich römischer als die Römer gebärdet, dürfte gerade den römischen Militärs etwas suspekt erschienen sein. Dort nämlich schätzte man wohl den Verrat, jedoch keineswegs den Verräter, auch wenn der einem dienlich war: Wer so skrupellos handeln konnte, dem mußte man auch alles andere zutrauen! Ein solches Bild mag möglicherweise auch VARUS von SEGESTES gehabt haben, als dieser ARMINIUS bei ihm anschwärzen wollte.

 

So wie SEGESTES den VARUS vor ARMINIUS gewarnt hat, kann man ihn ohne weiteres als eiskalten, hinterhältigen Verräter sehen; man kann ihn ebenso für einen allzu vertrauensseligen Naivling halten, der von der blendenden Fassade römischer “Freundschaft” fasziniert ist – das “Dahinter” jedoch, das zukünftige Versklavungs- und Ausbeutungsziel bis zum Völkermord nicht wie ARMINIUS durchschaut. Wie VARUS dem ARMINIUS blind vertraute, ebenso blind baut SEGESTES auf Rom.

 

Man braucht ihm nicht unbedingt eine niedrige Gesinnung zu unterstellen. SEGESTES war Überzeugungstäter. Aus Haß gegen sein Vaterland gehandelt zu haben, weist er weit von sich. Er hält eine Partnerschaft zwischen Römern und Germanen für beide Seiten von Vorteil. Aber war dies Partnerschaft? Er versichert, er habe Frieden zwischen beiden Völkern vermitteln wollen – hatte er nie etwas von den scheußlichen “Befriedungs”-Massakern römischer Terrorkommandos und Strafexpeditionen gehört?

 

Wer also war SEGESTES?

 

War er ein schurkischer Hochverräter – ein Volksfeind?

War er ein naiver, allzu blauäugiger Friedensfreund – ein weltfremder Utopist, der in den ärgsten Feinden Germaniens die besten Freunde wähnte?

War er ein haßerfüllter Fanatiker, der über Leichen ging?

War er ein untadeliger Ehrenmann, der Treue zu einem Bündnispartner über alles stellte?

War er ein skrupelloser Opportunist, dem für seinen persönlichen politischen Vorteil jedwedes Mittel recht war?

War er gar eine tragische Person, die für ihre Überzeugung schließlich in der Emigration endete?

Es dürfte kaum möglich sein, zu einer schlüssigen Beurteilung zu kommen. Nehmen wir also SEGESTES schlicht als eine Schicksalsfigur der germanisch-deutschen Geschichte, die er um ein Haar – beinahe für immer – verhindert hätte!