Arminius the Liberator

 

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FAQs

 


Am Ort des Clades Variana

 

Die römische Heeresleitung wußte, und das nicht erst seit der sträflichen Fahrlässigkeit des VARUS, daß eine so schwer gerüstete Kampfgruppe wie das römische Heer in hohem Maße von der Logistik abhängig war – und die bedeutete vor allem Aufmarschwege. Man mußte sich klarmachen, daß sämtliche römische Kampfhandlungen in Nordgermanien ohne die Voraussetzung brauchbarer Straßenverhältnisse überhaupt nicht möglich waren. Es ist ganz undenkbar, daß Heeresmassen bis zu hunderttausend Mann und Tausende von Troßfahrzeugen auf schlammigen, unbefestigten Pfaden einfach querfeldein marschiert wären.

 

Eine weitere Hauptbedingung, um weit ins feindliche Hinterland vorstoßen zu können, war, daß man sich auf einen weitgehenden abgesicherten und reibungslosen Verpflegungs- und Materialnachschub stützen konnte. Soweit dieser durch befreundetes Gebiet ging, wo Auxilien der betreffenden Stämme die Nachschubwege überwachten, mochte der Transport noch funktionieren, aber völlig sicher war das auch nicht. Die Gefahr von Überfällen, Plünderungen und Abschneidung von der Basis war immer gegeben.

 

Hatte man sich erst einmal von den eigenen befestigten Stützpunkten, den Depots und den ausgebauten Straßen entfernt, mußten die bespannten Trosse auf oft grundlosen Wegen nachgeführt werden – nicht überall konnten die Pioniere Knüppeldämme anlegen. Ferner mußten reguläre Einheiten zur Bewachung abkommandiert werden, die dann für aktive Kampfhandlungen ausfielen.

 

So bediente man sich wieder der probaten Methode, mit der schon DRUSUS und TIBERIUS bei ihren weitgeführten früheren Expeditionen Erfolg hatten. Man benutzte unter Einbeziehung des Meeres jene Flußläufe als Anmarschstraße, die tief ins Feindesland führten; sie waren relativ sichere Beförderungswege. So hat denn auch GERMANICUS die Ems, die Lippe, die Aller und die Weser als naturgegebene Verpflegungs- und Transportstraßen bei der Durchführung seiner Großoffensiven genutzt.

 

Für den Sommerfeldzug des Jahres 15 waren umfangreiche Rüstungen von langer Hand vorbereitet worden, unter anderem hatte man die Rheinflotte gründlich überholt.

 

GERMANICUS plante mit acht kriegsstarken Legionen, fast ebensovielen Hilfstruppen und einem großen Kavallerieaufgebot in drei machtvollen Heeressäulen in Nordwest-Germanien einzufallen. Um etwaige feindliche Angriffe zu zersplittern, sollten die Verbände getrennt marschieren.

 

Demgemäß bricht von Castra Vetera (Xanten) der bewährte General CAECINA mit vier Legionen auf. Der Reiterführer PEDO bekommt den Auftrag, mit seiner Kavalleriebrigade vom Gebiet der Bataver (Holland) aus durch das Land der Friesen zu marschieren.

 

GERMANICUS selbst bedient sich der Rheinflotte und fährt mit den anderen vier Legionen von der Rheinmündung aus zuerst durch die Zuidersee, von dort am Kastell Flevum vorbei, an der Nordseeküste entlang in die Emsmündung und stromaufwärts, soweit sie schiffbar ist. An der mittleren Ems, etwa in der Gegend des heutigen Rheine, treffen die drei Heeresgruppen zusammen. Von hier aus soll nun “vereint geschlagen” werden.

 

Eine Abteilung unter dem Feldherrn STERTINIUS bekommt den Auftrag, ins Land der Brukterer (das heutige Münsterland) einzufallen und sie zu schlagen. Diese hatten bereits ihre Häuser angezündet und waren in die Wälder geflüchtet, um dem Feind keine Möglichkeit des Beutemachens zu geben. Sie hatten seinerzeit ARMINIUS mit am stärksten unterstützt und den Adler der XIX. Legion des VARUS erobert. In einem heiligen Hain findet STERTINIUS diese Siegestrophäe – ein großer moralischer Erfolg für ganz Rom! Danach führt Germanicus die gesamte Armee – insgesamt 80,000 Mann – in die noch nicht verheerten Gebiete dieses schon geschlagenen Volkes und läßt dort seine acht Legionen hemmungslos morden, schänden und plündern.

 

Jeder einzelnen Kohorte war ein gut übersehbarer Todesstreifen von 600 bis 1,000 m Breite zugewiesen, innerhalb dessen grauenvolle Verbrechen verübt wurden. Zurück blieben allein die verheerenden Spuren von Massakern und Brandschatzungen. Wenn überhaupt Gefangene gemacht wurden, verkaufte man sie in die Sklaverei. Den Erlös steckte der jeweilige “Sieger” ein. Diese verbrecherische Vernichtungsstrategie der “verbrannten Erde” , die GERMANICUS nach den Marsern und Chatten auch bei den Brukterern durchführte und die nun auch seinem Stamm bevorstand, wird ARMINIUS und seine Freunde zu jedem nur erdenklichen Widerstand angetrieben haben.

 

Nach solchen Massenverbrechen einer entmenschten, siegestrunkenen Soldateska – wie sie sogar heute noch geschehen – fragt man sich: Wie haben sich die Sippen und Dorfgemeinschaften jenen Frauen und Mädchen gegenüber verhalten, die brutal vergewaltigt – geschändet wurden; galt doch nach dem strengen germanischen Sittenkodex Schande als eines der schlimmsten Übel für die Gemeinschaft, ähnlich wie der Verlust der Ehre.

 

Schande solcher Art konnte nie wieder ungeschehen gemacht werden und hatte zudem Folgen, die die Allgemeinheit schwer belasteten. Hat man die bedauernswerten Kriegsopfer – die sie ja waren – danach wieder voll integriert?

 

Eher waren die “Entehrten” – obgleich völlig unschuldig – für ihre Familie und das Dorf untragbar geworden, wahrscheinlich grenzte man sie aus, wie Aussätzige. Möglicherweise traf die Geschändeten sogar ein besonders grausames Los ohne Gnade; denn dieser untilgbare Makel, der alle betraf, mußte beseitigt werden.

 

Besonders schandbare Verbrechen wurden derart getilgt, daß man sie den Blicken der Öffentlichkeit entzog und die Schande im wahrsten Sinne des Wortes im Moor versenkte. Dort, in der unergründlichen, schweigenden Tiefe sollte sie für alle Zeit versunken und vergessen bleiben.

 

Vielleicht wählte man aus der Gruppe dieser aus der Gemeinde verstoßenen Unglücklichen jene aus, die den Göttern als Menschenopfer gebracht wurden. Zum Unterschied von verurteilten Verbrechern ließ man ihnen wenigstens die Gnade einer vorherigen raschen Tötung zukommen. Eine Anzahl von Moorleichenfunden lassen eindeutig diesen Schluß zu.

 

Zur Zeit des ARMINIUS waren Menschenopfer durchaus üblich, mit denen man sich die Götter wohlgesonnen stimmen wollte. Man opferte Menschen, beispielsweise nach einer gewonnenen Schlacht, um sich den Göttern dankbar zu zeigen. Auch römische Kriegsgefangene, insbesondere wenn diese sich mit Greueltaten an der Zivilbevölkerung vergangen hatten, wurden zum Moortod bestimmt.

 

Wie TACITUS berichtet, befand sich das Invasionsheer “nicht weit” (haud procul), womit vielleicht höchstens zwei Tagesmärsche (etwa 50 km) gemeint sein konnten – von jener Stelle entfernt, wo einst im Jahre 9 der Feldherr VARUS mit seinen Legionen den Tod gefunden hatte. Kundschafter und Veteranen dieser Schlacht berichteten, daß dort die Überreste der Armee immer noch unbestattet lägen. So benutzte GERMANICUS die Gelegenheit und folgte seinem Wunsch, den Gefallenen die letzte Ehre zu erweisen.

 

Die Germanen hatten das sich über Kilometer erstreckende Schlachtfeld mit seinen zahllosen Leichen und Beutestücken natürlich geplündert und es dann der Natur und der Vergessenheit überlassen. Vielleicht galt die makabre Stätte bei ihnen danach als “verrufen”, oder man hatte sie dem Kriegsgott geweiht.

 

Um an die traurige Stelle zu gelangen, die in einem Sumpfgelände lag, ließ GERMANICUS durch seine Pioniere Knüppeldämme und Brücken anlegen, dann betrat er mit seinem Stab und den wenigen Veteranen, die entkommen waren oder damals als Freigekaufte die Katastrophe überlebten, den historischen Platz.

 

An den inzwischen eingesunkenen Erdwällen und Gräben erkennt er das erste Lager und das zweite nicht mehr vollendete des VARUS. Auf freiem Feld und in den Erdwerken liegen die gebleichten Skelette der Gefallenen, in Haufen oder zerstreut, je nachdem, wo sie der Tod erreicht hatte, dazwischen Pferdegerippe, zerbrochene Wagenreste und verrostete Waffen und Rüstungsstücke; mit Schaudern erblickt man die an die Eichenstämme genagelten Schädel der Geopferten.

 

GERMANICUS läßt sich von den überlebenden Zeugen den Hergang der letzten tragischen Stunden des Kampfes genau erklären, dann befiehlt er, die Reste der 17., 18. und 19. Legion aufzusammeln, in einem riesigen Massengrab beizusetzen und einen mächtigen Erdhügel darüber aufzutürmen; er selbst legt das erste Rasenstück auf den Tumulus.

 

Als TIBERIUS von dieser Totenfeier erfährt, macht er dem Neffen ärgerliche Vorstellungen, dies sei eine törischte Handlung gewesen, denn hierdurch hätte jener das Heer in seiner Kampfmoral geschwächt, zum Defätismus ermutigt und in der Furcht gegenüber der Germanen bestärkt. GERMANICUS hat diesen herben Tadel sicherlich als ungerecht empfunden; auch später wird er die Animosität des Oheims noch oft zu spüren bekommen.

 

Als er ein Jahr später (16) mit sechs Legionen wieder an der Lippe eintrifft, erfährt er, daß die Germanen den kürzlich in der Nähe angelegten Grabhügel der VARUS-Schlacht dem Erdboden gleichgemacht haben. Er veranstaltet eine feierliche Parade, weiht einen wiedererrichteten Altar seines Vaters DRUSUS ein, läßt aber den Tumulus nicht mehr erneuern, um TIBERIUS nicht noch einmal zu erzürnen.

 

Generationen von deutschen Historikern und Geschichtsamateuren haben die Zerstörung des einstmals sicherlich recht markanten Denkmals zutiefst bedauert und würden viel darum geben, diese Stelle ausfindig zu machen; hätte man damit doch den historisch so bedeutsamen Ort des Schlachtfeldes genauestens lokalisieren und damit die schier endlosen Debatten und Theorien um seine geographische Lage endlich beenden können! Alle darüber ins Auge gefaßten, möglicherweise in Frage kommenden Stellen mußten jedoch letztendlich verworfen werden. Nur ein großer Zufall oder sehr kostspielige gezielte Aktionen der Archäologie könnten dereinst Licht in diesen Teil der varianischen Tragödie bringen.