Arminius the Liberator

 

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FAQs

 

 

 

Rückschläge

 

Auf dem Rückmarsch vom VARUS-Schlachtfeld läßt sich GERMANICUS in seinem wilden Verfolgungseifer immer weiter von ARMINIUS in ungünstiges Gelände locken. Als seine Kavallerie den Gegner packen will, verschwindet dieser mit einer Schwenkung wie fliehend im dichten Wald, wohin kein Reiter zu folgen vermag.

 

 Gleichzeitig stürmen aber an den Flanken neue Schlachthaufen hervor, die unbemerkt im Hinterhalt gelegen haben und die Reiter in größte Verwirrung bringen, so daß diese fliehen müssen. Die dahinter marschierenden Kohorten werden von den Fliehenden mitgerissen. ARMINIUS hatte das Gelände wieder so ausgesucht, daß er einen Teil der Zurückflutenden in ein großes Sumpfgelände hineindrängt. Erst frisch herangeführte Legionäre in Schlachtordnung können das Ärgste verhindern und die Flucht zum Stehen bringen.

 

Immer wenn TACITUS den Ausgang eines Gefechtes als “unentschieden” bezeichnet – wie auch hier -, bedeutet dies bei ihm, daß er eine Niederlage nicht eingestehen will. In Wahrheit bedeutet diese Kampfhandlung wieder einmal eine empfindliche Schlappe für die Römer.

 

Beim Rückmarsch der ersten Heeresgruppe werden vier Legionen (rund 25,000 Mann) wie auf dem Anmarschweg an der Ems auf die Flotte verladen, zwei Legionen unter GERMANICUS, zwei Legionen unter dem Legaten Publius VITELLIUS. Die Kavallerie soll den Flußtransport zunächst begleiten und dann die Nordseeküste entlang in die Heimatgarnison ziehen.

 

Später müssen die beiden VITELLIUS-Legionen die Schiffe verlassen und den Rückweg zu Fuß fortsetzen. Was veranlaßte GERMANICUS zu dieser ungewöhnlichen Maßnahme? Wegen des niedrigen Wasserstandes wollte er die Transporter erleichtern, damit sie bei Ebbe mit minderer Belastung aufliegen konnten, um bei auflaufender Flut die Mannschaften wieder an Bord zu nehmen. Diese an sich richtige Überlegung sollte später der Heeresgruppe zum Verhängnis werden.

 

Weil die bessere Straße bereits von ARMINIUS besetzt und unter seiner Kontrolle war, blieb für die Rückführung der zweiten Heeresgruppe – vier Legionen mit 25,000 Mann – nur der Marschweg über die sogenannten Pontes Longi (1), die “langen Brücken”. Diese waren ein alter, rund 80 bis 100 km langer Dammweg, der etwa zwanzig Jahre zuvor vom römischen Statthalter Dominicus AHENOBARBUS von der Ems bis an den Rhein durch ein ausgedehntes Moorgebiet angelegt worden war, aber inzwischen schwere Schäden aufwies.

 

(1) Pontes Longi. Der Bohlenweg ist vermutlich im Burtnager Moor zu suchen.

 

Angesichts der äußerst riskanten und verantwortungsvollen Aufgabe, eine so große Streitmacht mit den dazugehörigen schwerfälligen Trossen auf diesem unsicheren Weg zurückzuführen, fällt die Wahl auf den fähigsten und erfahrensten Unterfeldherrn des GERMANICUS, den General Aulus CAECINA. Er bekommt den strikten Befehl, so rasch wie möglich die Moorbrücken zu passieren, um sich dem ARMINIUS zu entziehen. Ziel ist die Heimatgarnison Castra Vetera (Xanten). Begeistert wird der alte Praktiker über dieses Himmelfahrtskommando wohl kaum gewesen sein.

 

Als CAECINA am Ausgangspunkt eintrifft, stellt er fest, daß sich beiderseits des Dammes wasserreiche Sümpfe weithin ausdehnen und die Straße sehr ausbesserungsbedürftig ist.

 

Inzwischen war ARMINIUS auf nur ihm bekannten Moorpfaden in Eilmärschen den schwerbepackten und vom Troß behinderten Legionären zuvorgekommen und lauerte bereits mit seinen leichtbewaffneten Truppen im Sumpfwald ringsum.

 

Als Spähtruppen dem CAECINA dies melden, ist er unschlüssig. Soll er zuerst die Trasse ausbessern lassen, oder soll er ARMINIUS vertreiben? Beides widerspricht seinem Befehl, im Eilmarsch dem Cherusker zu entwischen. Eine völlig neue Lage ist entstanden, er ist gezwungen umzudenken. In dieser mißlichen Situation beschließt er, an Ort und Stelle ein Lager zu beziehen. Das ist für den Augenblick das Vernünftigste, was er vorerst tun kann; in einer defensiven Position wird ihn ARMINIUS – so hofft er – unbehelligt lassen.

 

Mitten im Moor ein Lager für 25,000 Legionäre zu errichten, ist zwar ein fast sinnloses Unterfangen, aber CAECINA schafft es, wenn auch unter unsagbaren Anstrengungen. Nach ein paar Spatenstichen füllen sich die Gruben mit Wasser. Rasenplaggen, Gestrüpp und Baumverhaue müssen die übliche Umwallung ersetzen, ein kümmerlicher Schutz. Während der Schanzarbeiten habe vorausgeschickte Pioniereinheiten den Auftrag, die Straße wiederherzustellen; mehr als Knüppelwege aus Birken und Erlen werden es nicht gewesen sein. Die Truppen, die die Ausbesserungsarbeiten seitlich abschirmen sollen, werden sofort pausenlos angegriffen. Mit dem Moor vertraut, leicht bewaffnet und unbeschwert, lassen die Germanen den im Moor schuftenden Römern keine Ruhe. Es gibt Verluste und viele Verwundete, die im Sumpf rettungslos verloren sind. Die Pioniere leiden am meisten. Die Legionäre erwarten die Nacht, aber auch da stiftet ARMINIUS Verwirrung durch Scheinangriffe, die ständige falsche Alarme auslösen.

 

Um das Unglück vollzumachen, gibt er den Befehl, das Lagergelände durch Umleitung und Anstauung aller Bäche und Wasserläufe ringsum überfluten zu lassen. Die Schanzarbeiten versinken im Schlamm, die Legionäre mit Panzer und Schild stehen im Wasser und sind praktisch wehrlos – eine Katastrophe wie bei VARUS bahnt sich an. Aber CAECINA, dieser in vierzig Dienstjahren ergraute, eisenharte Truppenführer, der sich von ganz unten hochgedient hat, ist kein VARUS und verliert nicht die Nerven. Auch jetzt tut er genau das Richtige, um aus dieser Wasserfalle herauszukommen. Er bildet zwei Gruppen, die als Flankenschutz die Angreifer so lange festhalten, bis die Verwundeten und der Troß einen kleinen Vorsprung gewinnen können, eine dritte hält die Verfolger auf Distanz. So gewinnt er eine Atempause und überwindet diesen gefährlichen Geländeabschnitt.

 

Wieder gelingt es, ein Notlager für die Nacht zu errichten, die für die Römer ohne Schlaf und voller Ängste ist. Selbst CAECINA denkt an das Jahr 9. Wie damals erklingen ringsum die Kriegsgesänge der Germanen, die sich schon ihres Sieges sicher sind.

 

Als der Tag anbricht, erreicht den Feldherrn die niederschmetternde Meldung, daß die beiden Legionen der Flankensicherung befehlswidrig ihre Stellungen verlassen haben und sich inzwischen in Richtung Rhein abgesetzt haben. Trotzdem wagt CAECINA den Weitermarsch.

 

Noch immer greift ARMINIUS mit seiner Hauptmacht nicht an. Er will ganz sicher gehen und wartet, bis Mann und Roß und Wagen tief in den Wasserlöchern und Gräbern des nur notdürftig ausgebesserten, glitschigen Bohlenwegen festsitzen. Als er soweit ist, befiehlt er den Sturmangriff. Panik bricht aus, keiner hört mehr auf Befehle, “Rette-sich-wer-kann!” beherrscht die Stimmung der Legionäre.

 

Für ARMINIUS wiederholt sich hier an den Moorbrücken der Untergang des VARUS – dieses Mal sind es vier Legionen!

 

Mit einer Schar auserwählter Krieger durchbricht er den Ring der sich verzweifelt Wehrenden und wütet besonders unter den Berittenen, indem man die Pferde verwundet. Diese geraten in panischen Schrecken, werfen ihre Reiter ab, gleiten in ihrem Blut und auf den schlüpfrigen Moorpfaden aus und zertrampeln in ihrer Angst die am Boden liegenden Verwundeten, eine wenig ritterliche, aber erfolgreiche Taktik. Auch CAECINAs Pferd wird von Spießen durchbohrt und begräbt ihn unter sich. Im letzten Augenblick können ihn seine Männer heraushauen und ihm das Schicksal des VARUS ersparen.

 

Mit größter Mühe halten sich einige Gruppen, die sich um die Feldzeichen und Adler geschart haben. Dort tobt der Kampf am schrecklichsten, hohe Belohnung von ARMINIUS winkt demjenigen, dem es gelingt, eine dieser begehrten Trophäen zu erobern.

 

In der Endphase des Kampfes siegt nicht der eigentliche Sieger, sondern die alte Disziplinlosigkeit und Beutelust der Germanen, die ihren Erfolg nicht zu nutzen verstehen – sie stürzen sich auf die Troßfahrzeuge mit dem wertvollen Gepäck. Der eigentliche Angriff stagniert und kommt zum Erliegen. ARMINIUS wird getobt haben, aber hier war er machtlos.

 

Währenddessen benutzt CAECINA seine Chance, um sich mit dem Mut der Verzweiflung aus dieser tödlichen Sumpfgegend auf etwas festeres Gelände herauszuarbeiten. Nach bewährter Taktik läßt er noch am Abend des dritten Kampftages wiederum ein Notlager errichten. Aber es fehlt an allem. Fast das ganze Schanzzeug, die Zelte, die Lebensmittel und alles Sanitätsmaterial gingen in der allgemeinen Unordnung verloren.

 

Die letzten im Schlamm und Nässe verdorbenen Rationen werden verteilt. Kaum einer der vielen Tausend Soldaten rechnet noch damit, dieses Desaster zu überleben. Trotz allem gelingt es CAECINA, diesem knochenharten Offizier, seine erschöpften Männer zu übermenschlichen Anstrengungen anzutreiben, indem er ihnen das blutige Schicksal der VARUS-Legionen warnend vorhält.

 

Mit dem wenigen verbliebenen Werkzeug werden Bäume für Palisaden geschlagen und gesetzt – alles während der Nacht – eine weitere Meisterleistung dieses hervorragenden Soldaten! Auch dieses Mal kommt niemand zur Ruhe, eine Panik aus unbegründetem Anlaß bricht aus: “Die Germanen kommen!” Aber jene widmen sich ganz ihrer gewaltigen Beute und feiern im voraus.

 

Doch auch in dieser trostlosen Stimmung gibt CAECINA nicht auf. Kaltblütig läßt er antreten und macht seinen Leuten klar, daß nur ein geschlossener, massiver Ausbruch Rettung erwarten lasse, während einzelnes Durchschlagen und blinde Flucht völlig sinnlos und tödlich sei. Auf der Gegenseite streitet man sich. Während ARMINIUS vorschlägt, erst einmal abzuwarten, was der Feind unternimmt, denn lange können sich die Römer ohne Verpflegung nicht halten, besteht sein Oheim INGOMER auf sofortigen Angriff von allen Seiten.

 

Da ARMINIUS seine Befehlsgewalt mit dem Älteren teilen muß und bei den meisten der Krieger ohnehin INGOMERS wagemutiger Plan besser ankommt, muß er widerwillig nachgeben. Die Gräben werden mit Reisigbündeln zugeworfen, und die ersten Wellen erklimmen den Lagerwall, der nur schwach besetzt ist. Die Masse der Legionäre hat CAECINA hinter den Toren versammelt und wartet auf den richtigen Moment zum Ausfall. Während die Germanen noch versuchen, die Spitzen der Palisaden zu übersteigen und nicht kämpfen können, gibt CAECINA das Zeichen zum allgemeinen, machtvollen Ausbruch.

 

Die noch kurz vorher Verzweifelten fassen Mut, packen die Angreifer im Rücken, und die schon siegessicheren Germanen erleiden harte Verluste.

 

INGOMER wird dabei schwer verwundet; ARMINIUS bleibt unverletzt und wird dem alten Haudegen bittere Vorwürfe nicht erspart haben. Wegen der erlittenen Schlappe läßt er den Kampf abbrechen.

 

CAECINA aber gelingt es, mit seinen abgekämpften und hungrigen Legionären das Lager zu verlassen. Die Lebensmittel sind aufgebraucht, und es treibt zur Eile. Er wird seinen Leuten eingebleut haben, daß ein toter Mann ist, wer liegen bleibt. ARMINIUS, dessen Männer ähnlich erschöpft sind und die sich nun über das Lager hermachen, läßt sie gewähren. Weitere ernsthafte Angriffe scheint er danach nicht mehr unternommen zu haben.

 

Die totale Niederlage des CAECINA, die so nahe schien, hat er wegen INGOMERs Starrsinn nicht errungen, doch hat er die Römer in der Schlacht im Moor so sehr geschwächt, daß er sie sich im ganzen als einen weiteren großen Erfolg anrechnen kann.

 

Am Ende ihrer Kräfte, verwundet und demoralisiert, treffen die stark angeschlagenen und dezimierten Teile der vier Legionen in einzelnen Trupps nach und nach am Rhein ein.

 

Vor ihnen läuft das Gerücht her, das römische Heer sei vernichtet, und die Germanen seien schon im Anmarsch auf das linksrheinische Gebiet. In Castra Vetera (Xanten) geht die nackte Angst um. Schon schickt man sich an, die Rheinbrücke abzureißen, ohne Rücksicht auf die Rückkehrer, für die dies den sicheren Tod bedeuten würde.

 

Doch im letzten Augenblick gelingt es AGRIPPINA (1), der energischen Frau des GERMANICUS, den Abbruch zu verhindern. Gewiß dachte sie dabei auch an ihren Mann, der noch auf dem Rückmarsch mit der Flotte unterwegs ist und der auf keinen Fall die Brücke aufgegeben hätte.

 

(2) Der Name “Köln”. Die Tochter Agrippinas, d. Jüngere und später Kaiserin, verlieh zu Ehren ihres Geburtsortes Ara (lat. “Altar”) , der Hauptstadt der linksrheinischen germanischen Ubier, den hoheitsvollen Namen einer römischen Colonia, aus dem später “Köln” entstand. Vollständiger Titel:

Colonia Claudia Augusta Ara Agrippinensium.

 

Sie selbst steht mit ihrem Söhnchen CALIGULA am Brückenkopf und empfängt die abgerissenen, zerlumpten und verwundeten Haufen, läßt sie verbinden, beköstigen, neu einkleiden und erweist sich somit als eine echte, tatkräftige Soldatenfrau und –mutter.

 

Daß sie als Frau “wie ein Feldherr” den Heimkehrenden stellvertretend für ihren Mann Dank und Anerkennung ausspricht – eine ganz ungewöhnliche Geste -, ärgert den TIBERIUS, der ohnehin GERMANICUS und AGRIPPINA haßt, maßlos. Er legt ihre Hilfeleistung und Fürsorge mißgünstig als “Ruhmsüchtelei” und ganz billige “Buhlerei” um die Gunst der Legionäre aus. Ihm mißfiel schon lange, daß sie lieber im Legionslager wohnte als in Rom oder im noblen Tivoli.

 

Daß überhaupt noch Teile der Armee zurückgekommen sind und dem Kaiser erhalten bleiben, ist allein das Verdienst des überragenden CAECINA (3). Ohne ihn hätte GERMANICUS eine Niederlage einstecken müssen, die noch weit verheerender als die des VARUS ausgefallen wäre. Dafür wurde der General noch im selben Jahr mit den Insignien eines Triumphators geehrt – was ihm gewiß zustand.

 

(3) CAECINAs Triumph. Daß eine solche Würdigung ausschließlich dem Kaiser oder den Prinzen seines Hauses vorbehalten war, zeigt den hohen Grad dieser Ehrung für den General.

 

Allein seiner Frau hatte es GERMANICUS zu verdanken, daß CAECINAs Männer durch jene entschlossene Tat das rettende Rheinufer erreichen konnten.

 

Währenddessen war VITELLIUS mit seinen beiden Legionen nach dem Verlassen der Schiffe auf festem Boden und bei trockenem Wetter gut vorangekommen. Seine Transporter waren mit den Matrosen flußabwärts gefahren, wo sie ihn bei tieferem Wasser wieder an Bord nehmen sollten.

 

Es wird aus den Berichten des TACITUS nicht ganz klar, warum GERMANICUS, der die gesamte Flotte befehligte, nur dem VITELLIUS befohlen hatte, zu Fuß weiterzumarschieren, um die Transportschiffe zu erleichtern, er selbst jedoch weiterfuhr. Hatten die Germanen etliche Transporter an deren Ankerplätzen zerstört bzw. verbrannt, während die Legionen im Landesinneren kämpften, so daß der noch vorhandene Schiffsraum nicht mehr für alle Soldaten und das Material ausreichte?

 

Beim Versuch, näher an die Flotte heranzukommen, wohl um Fühlung mit den Schiffen zu halten, gerät VITELLIUS – wahrscheinlich unkundig der Tücken des nordischen Wattenmeeres – bei plötzlich aufkommendem Äquinoktialsturm und dadurch sehr schnell auflaufender Flut in tiefe Priele und gefährliche Untiefen. Urplötzlich sieht er sich mit seinen 12,000 Mann vom Festland abgeschnitten und buchstäblich bis zum Halse im Wasser stecken! Bei immer mehr aufbrausendem Nordsturm und mannshohen Wellen geraten die Einheiten, Zugtiere und Gepäckwagen völlig durcheinander und sind hilflos den Elementen ausgeliefert. Ganze Abteilungen versinken in aufgewühlten, reißenden Strudeln, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt.

 

Als der Sturm abflaut, finden VITELLIUS und seine Männer irgendwie wieder festeren Boden und versammeln sich auf einer etwas höher gelegenen Stelle. Bei der Bestandsaufnahme stellt er fest, daß er mehrere Kohorten, seinen ganzen Troß, das technische Gerät und einen großen Teil seiner schweren Waffen verloren hat; die Verluste einer Schlacht könnten nicht schlimmer sein.

 

Die Legionäre übernachten ohne Feuer, ohne Nahrung und ohne Wasser. Fast alle sind halbnackt; als die Flut kam, hatten sie sich in Panik ihrer Panzer und Ausrüstung entledigt. Viele sind verletzt, alle sind durchnäßt und frieren; voller Ängste und Verzweiflung erwarten sie den Morgen. Als es hell wird und der Sturm sich gelegt hat, dringen sie bis zur Flußmündung vor, wo inzwischen GERMANICUS mit der Flotte eingetroffen ist und die Überlebenden an Bord nimmt.

 

Auch über dieses Unglück entstehen die wildesten Gerüchte, die wahrscheinlich durch die Friesen verbreitet werden. Am Rhein spricht man davon, daß die gesamte Heeresgruppe in der Nordsee ertrunken sei. Wenn dies auch nicht zutraf, so waren die Rückkehrer doch am Ende ihrer Kräfte, als die Flotte endlich wieder in ihre Heimathäfen Vetera (Xanten) und Ara (Köln) eintraf.

 

Nach seiner Schlappe bei der Verfolgung des ARMINIUS, den verlustreichen Kämpfen des CAECINA an den Moorbrücken und nach der Flutkatastrophe des VITELLIUS ist GERMANICUS unter schweren Druck geraten. Die Verluste an Menschen, Tieren, Kriegsmaterial und Lebensmitteln sind so schwer, daß Gallien, Spanien und Italien den riesigen Schaden durch Sonderlieferung an Waffen, Pferden und Geld ausgleichen müssen.

 

Um dem Kaiser das wahre Ausmaß des damaligen Mißgeschicks bzw. Versagens und den Ernst der Lage zu verschleiern, ersetzt GERMANICUS allen Soldaten, die ihren Sold und ihre Ersparnisse verloren haben, den Verlust aus eigener Tasche, ein generöser Zug, der ihn ein riesiges Vermögen gekostet haben muß. Auch bemüht er sich persönlich um die Verwundeten und Kranken und zeigt sich in vorbildlicher Weise um ihr Wohl besorgt, was sein Ansehen und seine Beliebtheit bei der Truppe noch bestärkt.

 

Natürlich erfährt TIBERIUS durch seine Zuträger von den praktisch erfolglosen und eigentlich nur verlustbringenden Unternehmungen des Jahres 15 und läßt GERMANICUS sein Mißfallen deutlich spüren. Wahrscheinlich wächst bei ihm schon jetzt die Erkenntnis, daß er in seinem Neffen einen glücklosen Feldherrn hat, dessen Kriege in Germanien sich als zu teuer und zu riskant erweisen.

 

Um so mehr sinnt GERMANICUS darüber nach, wie er im Krieg mit ARMINIUS zu einem Abschluß kommen kann und überlegt, welche Maßnahmen er hierzu anwenden muß. Er steht nun auch unter beträchtlichem Erfolgsdruck. Es ist ihm sicher klar, daß TIBERIUS ihn sehr kritisch beobachtet und daß er den Kaiser nur durch völlig handfeste und logische Argumente überzeugen kann, wenn er dessen Zustimmung zur Weiterführung des Krieges erreichen will.

 

GERMANICUS ist nicht der Mann, der schnell aufgibt. Der junge Ehrgeizling will seinen Krieg, seinen Sieg und vor allem seinen Ruhm!

 

Vor dem Kaiser entwickelt er seine Vorstellungen, wie er den Kampf in Germanien und im besonderen gegen ARMINIUS zu führen gedenkt. Um die weiteren gewaltigen Kosten gegenüber TIBERIUS zu rechtfertigen, wird er diesem seine Pläne folgendermaßen dargelegt haben, wobei er dessen ständige Befürchtungen geschickt anspricht:

 

Als Hauptargument führt er aus, daß auf keinen Fall der Krieg wegen der gehabten Unglücksfälle jetzt abgebrochen werden dürfe. Dies bedeute nur die Ermutigung zu einer festen Verbindung zwischen Arminius im Nordwesten und Marbod im Südosten, um dann gemeinsam Rom zu überrennen. Dieser Gefahr mit unabsehbaren Folgen für das Imperium müsse nunmehr mit aller Entschiedenheit und mit allen Mitteln entgegengetreten werden.

 

Nach seiner Erfahrung habe er erkannt, daß:

 

Erstens ein Feldzug in Germanien an den Ausbau von Marschstraßen bzw. befestigten Verkehrswegen gebunden sei.

 

Zweitens die Germanen nur in offener Feldschlacht, das heißt im offenen Gelände zu schlagen seien, nicht aber in den undurchdringlichen Wäldern, Bergen und Mooren, wo die Soldaten mehr durch Abnutzung litten als durch Verwundungen.

 

Drittens bei einem Unternehmen, das bestenfalls in drei Monaten beendet sein könnte, man an jeden Soldaten alle 4 bis 5 Tage Proviant ausgeben müßte – mehr Belastung sei ihm nicht zuzumuten. Hiervon ausgehend müßte allein ein zur Verpflegung von rund 90,000 Menschen und 20,000 Pferden benötigter Riesentroß von etwa 9,000 Wagen, den erforderlichen Fahrern und dem notwendigen Begleitschutz sowie 17,000 Zugpferden und Lasttieren dem Heer nachgeführt werden.

 

Viertens man befürchten müsse, daß dieser Troß auf überlangen Nachschubwegen dauernden Angriffen aus dem Hinterhalt ausgesetzt wäre und daß hierdurch die Lebensmittelversorgung der Truppe ständig gefährdet sei. - außerdem Galliens Pferdelieferungen erschöpft seien, die notwendige Transportleistung aber ohne ausreichenden Zugtierbestand auf dem Landwege nicht zu erbringen sei.

 

Daher plane er die stets problematische Lebensmittelnachschubfrage (4) durch Schiffstransporte auf den germanischen Flüssen zu regeln. Von dieser Überlegung ausgehend, wolle er dieses Mal doppelte Wirkung erzielen, nämlich darüber hinaus auch das gesamte Heer mit allen Waffen und schwerem Gerät auf dem Wasserweg transportieren: Truppentransporte von Infanterie und Reiterei auf dem See- und Flußweg habe ja schon CAESAR und er selbst, TIBERIUS, mit DRUSUS bei ähnlichen Flottenunternehmungen mit Erfolg durchgeführt! Doch dieses Mal sollten sämtliche technisch-nautischen Erfahrungen vorausgegangener Einsätze – vor allem beim Bau von Spezialschiffen – folgerichtig durchdacht und ausgewendet werden. Auf diese Art könnten starke Kräfte fast unbemerkt in Feindesland eindringen; das vermindere den Kräfteverschleiß, und die Truppe gelange frisch und ausgeruht – nicht schon durch Strapazen ermüdet oder durch blutige Verluste geschwächt – an den Gegner. Auch könne man in den Krieg früher als üblich im Jahr eintreten, weil man nicht erst abwarten müsse, bis die oft grundlosen Wege in Nordgermanien für das Heer gangbar wären.

 

(4) FRONTINUS (Militärschriftsteller, 40 - 105) schreibt in De re militari Romanorum: "Was die Operation des DRUSIS, TIBERIUS und GERMANICUS auf gertmanischem Boden am meisten behinderte, waren die Schwierigkeiten der Verpflegung."

FRIEDRICH DER GROSSE 1755 in Allgemeine Regeln für den Krieg:

"Eine Armee ist eine Masse von Menschen, die täglich ernährt werden will."

 

Um dies zu bewerkstelligen, sei der Bau von ungefähr 1,000 Schiffen erforderlich. Eine Alternative gäbe es nicht. Zugleich wäre diese Flotte – schon allein durch die bislang nie gekannte, riesige Anzahl von Fahrzeugen – eine gewaltige Demonstration der Macht des Imperiums, welche die Germanen in Ehrfurcht und tiefen Schrecken versetzen würde. Mit diesem Unternehmen gedenke er einen völlig unerwarteten und vernichtenden Gewaltschlag von noch nie dagewesener Wucht zu führen, den ARMINIUS und dessen Heer niemals überleben würden.

 

TIBERIUS, selbst hervorragender Truppenführer, Germanienkenner und gerade in bezug auf Flotteneinsätze besonders erfahren, wird zwar nicht ohne Bedenken dem gigantischen Bauprojekt zugestimmt haben – diesen Argumenten konnte er sich aber nicht verschließen. Hätte er jedoch das traurige Ende dieser Riesenflotte vorausgesehen, würde er ganz sicher sein Einverständnis und die finanziellen Mittel verweigert haben und den Neffen schon jetzt von weiteren Offensiven beordert haben.